Die Griechische Revolution: Ihre Gefahren, Möglichkeiten und Perspektiven

Die griechische Tragödie ist die Tragödie des Fehlens einer revolutionären Führung der ArbeiterInnenbewegung

Von Michael Pröbsting, Herst 2011, www.thecommunists.net

 

1.            Griechenland ist gegenwärtig in zweifacher Hinsicht das Spiegelbild der Zukunft vieler Länder in und außerhalb Europas. Erstens zeigt Griechenland, mit welcher Brutalität und welch verheerenden Konsequenzen das Monopolkapital im Stadium des niedergehenden Kapitalismus versucht, seine Wirtschafts- und Schuldenkrise auf dem Rücken der breiten Masse der ArbeiterInnenklasse und der Bauernschaft abzuwälzen. Und zweitens sehen wir, daß die existierenden reformistischen Bürokratien, die die ArbeiterInnenbewegung kontrollieren, unsere Klasse ins Verderben führen. Entweder exekutieren sie als direkte Handlanger die Befehle der Kapitalistenklasse oder sie helfen dieser als indirekte Handlanger, indem sie das Proletariat mit einer Strategie in den Kampf führen, mit der dieses unmöglich gewinnen kann. Der Zentrismus wiederum demonstriert in Griechenland seine Anpassung an die bürgerlichen Vorurteile und die reformistische Bürokratie. Man muß es direkt heraus sagen: Griechenland zeigt, daß das Proletariat ohne eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei auf der Grundlage einer bolschewistischen Programms den Schlägen der herrschenden Klasse hilflos ausgeliefert ist und einer Niederlage entgegen zu gehen droht.

 

Kapitalistische Krise und Plünderungspolitik

 

2.            Die Krise des Kapitalismus treibt Griechenland in den Ruin. Bereits im Jahr 2010 schrumpfte das griechische Brutto-Inlandsprodukt um 4,5% und bis zum zweiten Jahresdrittel 2011 um weitere 7,5%. Angesichts sinkender Staatseinnahmen – für 2011 wird damit gerechnet, daß die Steuereinnahmen nicht einmal zur Bedienung der laufenden Schuldenrückzahlung ausreichen – wundert es nicht, daß gleichzeitig die Verschuldung des Landes bis März 2011 bereits auf über 340 Milliarden Euro wuchs. Vor diesem Hintergrund steigen Arbeitslosigkeit und Armut massiv an. Waren Ende 2009 bereits etwa 9,6% arbeitslos, so sind es gegenwärtig (offiziell!) schon 16,3%. Laut Gewerkschaftsangaben sind jedoch in Wirklichkeit knapp eine Million oder 22% der Erwerbstätigen arbeitslos! Unter den 15- bis 29-Jährigen ist sogar fast jeder Dritte ohne Job. Darüberhinaus droht bis Jahresende die Entlassung von bis zu 30.000 Lohnabhängigen im Staatssektor. Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollen die Löhne durchschnittlich um 30-40% gekürzt werden, den Pensionisten drohen Kürzungen ihrer Rente um ein Fünftel. Die Unternehmer dürfen nun die hohe Arbeitslosigkeit auch offiziell ausnützen und die Branchentarifverträge unterlaufen: die absolute Untergrenze von etwa 740 Euro Bruttolohn für eine Vollzeitstelle gilt für neu eingestellte junge Erwachsene unter 25 Jahren nicht mehr. Sie müssen mit brutto knapp 600 Euro im Monat auskommen. Gleichzeitig bringen die Reichen ihr Geld in Sicherheit: laut dem deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel haben griechische Millionäre allein in der Schweiz 600 Milliarden Euro deponiert.


3.            Die Angriffe auf die griechische ArbeiterInnenklasse werden von den bürgerlichen Regierungen, den EU-Gremien (inklusive den sozialdemokratischen Kräften) und Medien mit den angeblich unverhältnismäßig hohen Löhnen und dem hohen Staatsausgaben gerechtfertigt. Das ist natürlich eine der vielen Lügen des ideologischen Herrschaftsapparates, der die Angriffe der Bourgeoisie rechtfertigen soll. Laut der französischen Bank Natixis liegt die Jahresarbeitszeit in Deutschland bei durchschnittlich 1.390 Stunden, in Griechenland jedoch bei 2.119 Stunden. Die Brutto-Löhne wiederum sind in Griechenland um 30% geringer als in Deutschland. Der Anteil der Staatsangestellten an allen Erwerbstätigen liegt in Griechenland (8%) unter jenem Deutschlands (knapp 10%) und beträgt nur fast die Hälfte des Durchschnitts der Industrieländer (15%). Ebenso liegt der Anteil der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung mit 36% deutlich unter jenem Deutschlands (45%). Auch das Argument, Griechenland habe zu viele Schulden aufgenommen und „über seine Verhältnisse“ gelebt, ist Unsinn. Es ist in Wirklichkeit Gefangener des imperialistischen Finanzkapitals: Alleine in den letzten 20 Jahren hat das Land mehr als 600 Mrd. Euro an Zinsen an die Banken gezahlt – doppelt so viel wie seine Staatsschulden ausmachen.


4.            Der tatsächlich Grund für die verheerende Wirtschaftskrise und den massiven Angriffen liegt auch nicht in einer falschen, neoliberalen Politik wie es die Führer der linken Sozialdemokraten und Stalinisten behaupten. Seit ca. 40 Jahren befindet sich der Kapitalismus weltweit in einer Periode von schwachen Wirtschaftswachstum und Krisen, dessen Kern die unvermeidliche Überakkumulation des Kapitals und der tendenzielle Fall der Profitrate darstellt. Die neoliberale Politik war nicht die Ursache dieser Krise, sondern kam lange Zeit nach deren Beginn als ihre Folgeerscheinung. Dabei gab und gibt es in den kapitalistischen Ländern alle denkbaren Regierungsformen – von einer bürgerlichen Regierung mit Beteiligung rechtsradikaler Kräfte (z.B. Italien mit der Alleanza Nazionale, in Österreich mit der FPÖ/BZÖ) über sozialdemokratische Alleinregierungen, Regierungen mit Beteiligung „kommunistischer“ Parteien (die Regierung Jospin in Frankreich mit der PCF oder zwei mal die Regierung Prodi in Italien mit der Rifondazione Comunista) bis hin zur Diktatur durch eine stalinistische Partei (China; unter Führung der KPCh vollzog das Land Anfang der 1990er Jahre zuerst den Übergang von einem degenerierten Arbeiterstaat zu einem kapitalistischen Staat und in den späteren 2000er Jahren schließlich sogar zu einer imperialistischen Macht). Aber ungeachtet der Unterschiede in der Rhetorik und der Form der Herrschaft, haben sie alle im Kern gemeinsam, auf die Krise des Kapitalismus mit einer verschärften Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse und einer massiven Umverteilung zugunsten der Bourgeoisie zu reagieren.

 

Griechenland auf Hungerration setzen 

 

5.            Die Krise des kapitalistischen Weltsystems hat 2008 mit der schwersten Rezession seit langem eine neue Stufe erreicht. Das System ist vom Stadium der Krise in das der Todesagonie übergegangen, an dessen Ende nur die Alternative Sozialismus oder Barbarei stehen kann. In dieser Periode setzt das Monopolkapital – die Banken und Konzerne, die Staat und Wirtschaft beherrschen – alles daran, um durch die drastische Verbilligung der Ware Arbeitskraft, das Andrehen der Zinsschraube, die Plünderung der Rohstoffreserven usw. ihre Profite erhöhen zu können. Schwächere kapitalistische Ländern – wie z.B. Griechenland – sind die ersten Opfer der erbarmungslosen Mühlen dieser imperialistischen Plünderungspolitik. Aber letztlich trifft es die ArbeiterInnenklasse und die unterdrückten Völker aller Länder.


6.            Das Ziel der imperialistischen EU besteht darin, Griechenland auf Hungerration zu setzen und seine verbliebenen staatlichen Besitztümer zu privatisieren (und diese v.a. an große ausländische Konzerne zu verkaufen). So bietet der griechische Staat 39 Flughäfen, 850 Häfen, Eisenbahnlinien, Autobahnen, zwei Energieunternehmen, Banken, tausende Hektar Land, die die staatliche Lotterie usw. im Gesamtwert von 71 Milliarden US-Dollar zum Verkauf an. Darüberhinaus soll ein deutlich höherer Anteil der griechischen Wirtschaft in das Eigentum des imperialistischen Kapitals überführt (bislang befinden sich z.B. noch 90% des Bankenkapitals in einheimischer Hand) und die Rechte und Organisationen der ArbeiterInnenklasse so weit geschwächt werden, um sie als noch billigere Arbeitskräfte durch die Kapitalisten ausbeuten zu können. An solchen günstigeren Ausbeutungsbedingungen haben nicht nur die westeuropäischen Kapitalisten ein Interesse, sondern auch die griechischen Unternehmer. Deswegen unterstützen sie im wesentlichen die brutale EU-Sparpolitik, auch wenn sie natürlich mehr Spielraum für sich gegenüber Brüssel fordern.


7.            Die politische Krise Griechenlands und die Ereignisse in der EU dazu unterstreichen einmal mehr die These der MarxistInnen, daß die bürgerliche Demokratie keine Demokratie für die ArbeiterInnenklasse und die breiten Volksmassen ist, sondern in Wirklichkeit nur eine verkappte Diktatur der Bourgeoisie darstellt. Die „sozialistische“ Regierung in Athen läßt auf Befehl der Börsen, der EU-Kommission und der griechischen Großkapitalisten im Parlament ein Sparpaket nach dem anderen beschließen obwohl offensichtlich das Volk dagegen ist. Ebensowenig wollen die Völker in Europa die Rettungspakte und auch sie haben nicht das geringste Mitspracherecht. Welche Regierung in Athen gerade regiert, entzieht sich ebenso jeglicher Einflußmöglichkeit des angeblichen Souveräns – des Volkes. Die abgehobenen Spitzen von PASOK und ND beschließen im Alleingang die Umbildung der Regierung, den Termin für Neuwahlen, die Zukunft des Volkes. Wie heuchlerisch die „Demokraten“ der westlichen Regierungen (inklusive der Sozialdemokraten) und die Monopolkapitalisten sind, zeigte sich kürzlich, als der damalige griechische Staatschef Papandreou es Anfang November wagte, eine Volksabstimmung über das Sparpaket zu verkünden. Ein Aufschrei der Empörung über die „Verantwortungslosigkeit“ der Regierung erhob sich in der gesamten EU und die Börsenkurse purzelten nach unten. Demokratie ist für die Kapitalisten nur so lange tragbar, solange sie nicht ihre Geschäfte beeinträchtigt. Kleinbürgerliche Demokraten a la ATTAC oder manche Ideologen in der „Demokratie-Jetzt“-Bewegung meinen, daß innerhalb des Kapitalismus eine wirkliche Demokratie möglich sei. Das ist eine kindische Illusion. In einer Gesellschaft, in der Klassen existieren, in der eine Klasse eine andere ausbeutet, kann es keine wirkliche Demokratie geben. Der Staatsapparat, das Parlament, die Regierung – sie alle sind in der bürgerlichen Demokratie vom Volk unkontrollierbar und dienen der zahlenmäßig kleinen Klasse der Kapitalisten. Lenin Feststellung, „daß auch die demokratischste demokratische Republik nichts anderes ist als eine Maschine zur Unterdrückung der Arbeiterklasse durch die Bourgeoisie, der Masse der Werktätigen durch eine Handvoll Kapitalisten“ (Thesen über bürgerliche Demokratie und Diktatur des Proletariats, 1919) ist heute gültiger denn je.

 

Der Klassencharakter Griechenlands

 

8.            All dies zeigt die Perspektivlosigkeit des bürgerlichen Nationalismus. Er ist eine reaktionäre Sackgasse, der die ArbeiterInnenklasse politisch an die Bourgeoisie kettet. Die Bolschewiki-Kommunisten lehnen daher die „patriotische“ Orientierung der KKE-Stalinisten und vieler anderer linker Reformisten auf die Bildung eines gegen die EU gerichteten „nationalen Blocks“ gemeinsam mit bürgerlichen Kräften als vollkommen utopisch und reaktionär ab.

 

9.            In der griechischen Bevölkerung ist die Stimmung weit verbreitet, die EU-Sparpolitik als ein ausländisches (nicht zuletzt von Berlin betriebenes) Diktat gegen das Land zu sehen. Dies kommt in zahlreichen patriotischen Bekundungen bei Demonstrationen und auch bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag des berühmten „NEIN“ gegen Mussolinis Diktat am 28. Oktober 1940 zum Ausdruck. Ohne Zweifel existiert eine nationale Komponente in der gegenwärtigen Krise, insofern hier keine gleichberechtigten Verhandlungen zwischen Staaten stattfinden, sondern die Großmächte in der EU – allen voran Deutschland und Frankreich, aber auch kleinere imperialistische Mächte wie Österreich oder die Niederlande – Griechenland als entwickelte Halbkolonie unverhohlen dessen Regierungspolitik befehlen.


10.          Gleichzeitig „vergessen“ die patriotischen Stalinisten der KKE und andere Linke, daß das griechische Kapital sehr wohl auch Schritte gesetzt hat, um eine international agierende Ausbeuterklasse zu sein. So sind griechische Kapitalisten traditionell der weltweit größte Eigentümer an Schiffen (mit einem Anteil von knapp 16% der globalen Schiffstonnage im Jahr 2010). Und seit Beginn der 1990er Jahre hat sich das griechische Kapital als führender Auslandsinvestor in den südosteuropäischen Balkanländern etabliert und liegt in Serbien, Albanien, Mazedonien und Bulgarien sogar an erster Stelle der Auslandsinvestoren. Griechenlands führende vier Banken – National Bank of Greece, EFG Eurobank, Piräus und Alpha Bank – kontrollieren heute ca. 20% des Finanzsektors in Südosteuropa. Kurz und gut, das griechische Kapital beutet nicht nur das Proletariat im eigenen Land aus, sondern erzielt auch einen Extraprofit durch die Ausbeutung der ArbeiterInnen ärmerer halbkolonialer Länder. Es sei allerdings auch darauf hingewiesen, daß ein Teil des offiziell als „Auslandsinvestitionen“ bezeichneten Kapitalexports in Wirklichkeit eher als Kapitalflucht angesichts der schweren Wirtschaftskrise Griechenlands zu werten ist und daher weniger als Zeichen der Stärke sondern eher der Schwäche des griechischen Kapitals zu werten ist. Dies zeigt nebenbei, daß der Patriotismus der herrschenden Klasse immer nur als ideologisches Verblendungswerk für die unterdrückten Klassen dient, den sie jedoch – wenn es ihren Profiten dienlich ist – ohne Wimpernzucken fallen lassen, um sich ausländischen Herren bereitwillig unterzuordnen.

 

11.          Der griechische Kapitalismus besitzt also einen widersprüchlichen Charakter insofern er einerseits historisch von europäischen und US-amerikanischen Imperialismus unterdrückt wurde und wird, andererseits aber auch gleichzeitig Anstrengungen unternimmt, Teile des Balkans zu seinem eigenen halbkolonialen Hinterland zu machen. Ein Gesamtbild des griechischen Kapitalismus ergibt, daß – angesichts der relativ geringen Bedeutung der Rolle des Kapitalexports und der Extraprofite im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft und des insgesamt verhältnismäßig rückständigen Charakters der kapitalistischen Entwicklung des Landes – Griechenland keinen imperialistischen Charakter besitzt. Wir lehnen die Verwendung von Kategorien wie „Sub-Imperialismus“ (wie z.B. durch die zentristische IST/SWP-Tradition von Tony Cliff) als unmarxistisch ab, da sie den entscheidenden und für die moderne Epoche des Imperialismus charakteristischen Gegensatz zwischen unterdrückenden und unterdrückten Ländern aufweichen und verwischen. Vielmehr ist Griechenland nach wie vor eine entwickelte Halbkolonie in Unterordnung zu den imperialistischen Mächten – allen voran die EU und die USA und zunehmend auch China. Gerade die aktuelle Krise Griechenlands und ihre offene Unterwerfung unter das Diktat der Großmächte zeigen, daß die Bemühungen des griechischen Kapitals in den vergangenen 20 Jahren, zu einer kleinen imperialistischen Regionalmacht zu werden, nicht vom Erfolg gekrönt waren. Die letzten Jahre haben den halbkolonialen Status Griechenlands bestätigt und verfestigt.

 

12.          Das Beispiel Griechenland bestätigt auch die These der Bolschewiki-Kommunisten, daß China mittlerweile zu einer neuen imperialistischen Großmacht aufgestiegen ist. Der dramatische Anstieg seines Kapitalexports – China ist heute der weltweit fünft-größte Auslandsinvestor – zeigt, daß das Land weder eine Halbkolonie noch ein degenerierter Arbeiterstaat oder schon gar kein sozialistischer Staat ist. In jüngster Vergangenheit bemüht sich China, durch massive Investitionen eine einflußreiche Rolle in Griechenland und dadurch auch ein Sprungbrett in die EU zu gewinnen. So kontrolliert nun der chinesische staatskapitalistische Konzern Cosco mit einer 5 Mrd. US-Dollar Investitionen den größten Hafen des Landes. Insgesamt plant China eine Reihe weiterer Großinvestitionen in Griechenland und hat bereits Verträge für Projekte in der Höhe von weiteren 5 Mrd. US-Dollar zum Aufkauf von größeren Anteilen an der bedeutenden Handelsflotte, der Telekommunikationsbranche, der Eisenbahn usw. unterzeichnet. Für die griechische ArbeiterInnenklasse sind damit schwere Angriffe verbunden. Cosco beispielsweise verbietet in „seinem“ Hafen in Piräus jegliche Gewerkschaftstätigkeit oder auch nur kollektivvertragliche Vereinbarungen. Was für ein bizarrer Unsinn, daß zahlreiche Stalinisten und bolivarische Chavez-Bewunderer China für ein sozialistisches oder zumindest fortschrittliches Land halten!

 

13.          Der reaktionäre Charakter des griechischen Chauvinismus zeigt sich auch in seiner Geschichte der Unterdrückung und teilweise Vertreibung der nationalen Minderheiten (Türken, Albaner, Mazedonier usw.). Selbst die 1991 gegründete unabhängige Republik Mazedonien weigerte sich Griechenland viele Jahre lang anzuerkennen. Gleichzeitig dient der griechische Chauvinismus auch dazu, die Ausbeutung der zahlreichen MigrantInnen zu rechtfertigen und so die Spaltung der ArbeiterInnenklasse zu vertiefen. Dies ist umso gravierender angesichts der Tatsache, daß die MigrantInnen offiziell eine Million (davon 2/3 Albaner) und damit 20% aller Erwerbstätigen ausmachen.

 

Der Patriotismus - die Sackgasse des Reformismus

 

14.          Beschämenderweise passen sich große Teile der reformistischen Linken (linke Teile der PASOK, KKE, Synaspismos usw.) an den griechischen Patriotismus an. Die KKE beispielsweise bezeichnet sich in ihrem Programm als „patriotische Partei“ und verpflichtet sich zur „Verteidigung der territorialen Integrität des Landes gegen die neue imperialistische Weltordnung“. Die einzigen „Gefährdungen“ der „territorialen Integrität“ Griechenlands in den vergangenen Jahrzehnten waren die Konflikte mit der Türkei und mögliche Bestrebungen der mazedonischen Minderheit in Griechenland nach Lostrennung. In der Tat bezeichnet die KKE in der Mazedonien-Frage als wichtigsten Punkt die „Zusicherung der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen“ und die Ablehnung „jeglicher Ansprüche auf Land oder Minderheiten“ von beiden Seiten. (KKE-Resolution 19.2.2008) Überhaupt leugnet die KKE die Existenz einer nationalen Minderheit in Griechenland. (Interview mit der langjährigen KKE-Generalsekretärin Aleka Papariga, 26.2.2011) Das Bekenntnis der KKE zum Patriotismus und zur Verteidigung des kapitalistischen Staates gegen andere Staaten und gegen das Selbstbestimmungsrecht von nationalen Minderheiten ist nichts anderes als Sozialchauvinismus und Unterordnung unter das kapitalistische Vaterland.

 

15.          Heute predigen diese Kräfte den Austritt Griechenlands aus der EU und der Euro-Währung sowie die Wiederherstellung der „Unabhängigkeit“ Griechenland und der Währung Drachme. Doch in Wirklichkeit kann die Lösung der griechischen Krise nur einen internationalen Charakter haben. Ein kapitalistisches Griechenland außerhalb der EU würde zu mindestens ebenso harten Sparmaßnahmen greifen wie die jetzige Regierung. Die reformistische Bürokratie der KKE predigt die Illusion, daß ein eigenständiger nationaler Weg Griechenland möglich wäre, da das Land die Voraussetzungen hat, um eine selbsttragende Volkswirtschaft zu schaffen und zu entwickeln.“ Ein solcher national isolierter Weg ist aber nicht möglich.

 

16.          Der Kampf gegen das imperialistische Diktat der EU muß international geführt werden. Aufgabe der westeuropäischen ArbeiterInnenbewegung ist es, auf der Straße und im Parlament gegen alle gegen Griechenland gerichteten Diktate und „Rettungsschirme“ sowie gegen den anti-griechischen Chauvinismus zu kämpfen. Revolutionäre in Griechenland wiederum müssen die von ihrem Wesen her bürgerlich-nationalistischen Perspektive mit ihrer Forderung nach Austritt aus der EU7 bzw. der Euro-Zone sowie der Wiedereinführung der Drachme scharf ablehnen. Die Losung des Austritts aus EU und Euro darf nur im Zusammenhang mit der Losung der Arbeiterregierung und als Teil des Prozesses der sozialistischen Revolution aufgestellt werden.

 

17.          Wir lehnen ultralinke Positionen ab, die aus der breiten Präsenz von griechischen Nationalfahnen bei den Demonstrationen und Platzbesetzungen einen reaktionären Charakter oder eine Dominanz der organisierten Rechten ableiten. Natürlich sind in einer tatsächlichen Volksbewegung, die sich gegen die brutale Unterwerfung des Landes unter das Diktat der imperialistischen EU richtet und in der die ArbeiterInnenvorhut noch kein revolutionäres Bewußtsein besitzt und daher diesen Mobilisierungen nicht ihren Stempel aufdrücken kann, solche patriotischen Manifestationen wenig überraschend. Bolschewiki-Kommunisten argumentieren gegen eine solche Art den Patriotismus nicht mit abstrakten Belehrungen über den Mythos des Vaterlandes und die moralische Überlegenheit des Internationalismus. Vielmehr gilt es darauf hinzuweisen, daß Griechenland nur dann gerettet werden kann, wenn es a) von der Herrschaft des griechischen und internationalen Kapitals befreit wird, b) wenn der Kampf auf der Grundlage der völligen Gleichberechtigung gemeinsam mit den nicht-griechischen Teilen der ArbeiterInnenklasse im Land (MigrantInnen, nationale Minderheiten) geführt wird und c) wenn er als Teil eines gemeinsamen internationalen Kampfes mit der ArbeiterInnenklasse am Balkan, in Europa und dem Mittelmeerraum für eine sozialistische Föderation stattfindet.

 

18.          Besonders wichtig ist daher auch das Herausstreichen der reaktionären Rolle des griechischen Kapitals im Balkan und bei der Überausbeutung und nationalen Unterdrückung der MigrantInnen im eigenen Land. Um den griechischen Chauvinismus konsequent zu bekämpfen, ist ein Programm des nationalen Selbstbestimmungsrechts (bis hin zum Recht auf Lostrennung) für die Minderheiten in Griechenland, für die völlige Gleichberechtigung der MigrantInnen (volle Staatsbürgerrechte, gleiche Löhne, Anerkennung ihrer Sprache als gleichberechtigt in Ämtern und Schulen, Abschaffung der Staatssprache usw.) sowie die Perspektive der sozialistischen Balkanföderation sowie der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa vorrangig. Ebenso vordringlich ist die Verbindung der Griechischen Revolution mit der Arabischen Revolution.

 

19.          Die Bedeutung des Kampfes für die revolutionäre Integration und die völlige Gleichberechtigung der MigrantInnen zeigt sich gerade auch in Griechenland. Sie stellen nicht nur einen bedeutenden und besonders unterdrückten Teil der ArbeiterInnenklasse dar. Der Kampf der kleinen Gewerkschaft der Reinigungskräfte und Haushaltshilfen in Athen (PEKOP) zeigt, daß die MigrantInnen auch eine wichtige im Klassenkampf spielen können. Auf ihre bekannteste Vertreterin, die bulgarische Migrantin Kostantina Kuneva, wurde Ende 2008 während eines Arbeitskampfes ihrer Gewerkschaft ein Mordanschlag von Handlangern des betroffenen Unternehmens verübt und ihr Gesicht mit Sulfuric-Säure übergossen. Sie überlebte trotz schwerster Verletzungen und PEKOP konnte – getragen von einer großen Welle der Solidarität von anderen Teilen der ArbeiterInnenklasse und der Jugend – den Arbeitskampf gewinnen. Die Organisierung und Mobilisierung der unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse – unter denen die MigrantInnen eine wesentliche Rolle einnehmen – ist eine entscheidende Vorbedingung für den Sieg der Griechischen Revolution.

 

Ausgedehnte vor-revolutionäre Krise

 

20.          Die zentrale Frage lautet: Warum konnte die Regierung bislang an der Macht bleiben, obwohl sie eine äußerst brutale Sparpolitik gegen den Willen der Bevölkerung durchpeitscht? Liegt es an der mangelnden Kampfbereitschaft der Massen? Sicherlich nicht! Die massiven Angriffe der Kapitalistenklasse wurden von der ArbeiterInnenklasse mit einer Serie von Generalstreiks, Platzbesetzungen und Demonstrationen beantwortet. Im statistischen Durchschnitt gab es im Jahr 2010 in Athen zwei Demonstrationen pro Tag!

 

21.          Ist der griechische Kapitalismus etwa in einer solch starken Position? Nein. Nicht nur sind die ArbeiterInnen und die Unterdrückten nicht länger gewillt, die Serie von Sparpaketen hinzunehmen. Auch die herrschende Klasse kann ihre bisherige Politik nicht unverändert fortsetzen. Griechenland steht vor dem Staatsbankrott. Das politische System ist in den Augen der Bevölkerung vollständig diskreditiert. Eine Regierungskrise folgt der nächsten. Kein Wunder, daß in der politischen Elite Griechenlands und der EU bereits über Bürgerkrieg, Militärputsch und ein bonapartistisches Regimes spekuliert wird.

 

22.          Griechenland befindet sich eindeutig in einer Phase der ausgedehnten vor-revolutionären Krise. Wenn man vom Aufstand in Albanien 1997 absieht, finden wir in Griechenland die entwickeltste revolutionäre Situation in Europa seit Portugal 1974/75 vor. Lenin’s klassische Definition einer revolutionären Situation treffen heute eindeutig auf Griechenland zu: „Für die herrschenden Klassen ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten; (…) Damit es zur Revolution kommt, genügt es in der Regel nicht, daß die ‘unteren Schichten’ in der alten Weise ‘nicht leben wollen’, es ist noch erforderlich, daß die ‘oberen Schichten’ in der alten Weise ‘nicht leben können’. 2) Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus. 3) Infolge der erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die sich in der ‘friedlichen’ Epoche ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten dagegen sowohl durch die ganze Krisensituation als auch durch die ‘oberen Schichten’ selbst zu selbständigem historischem Handeln gedrängt werden.“ (W. I. Lenin: Der Zusammenbruch der II. Internationale, 1915). Die Griechische Revolution ist nach der Arabischen Revolution seit Jänner 2011, dem August-Aufstand der Armen in Britannien vor wenigen Monaten und der weltweiten Occupation-Bewegung ein weiterer Beleg für die Einschätzung der Bolschewiki-Kommunisten, daß die historische Krise des Kapitalismus eine revolutionär Periode eröffnet hat.

 

23.          Die herrschende Klasse konnte sich bislang nicht wegen ihrer Stärke an der Macht halten und auch nicht wegen der fehlenden Kampfbereitschaft der ArbeiterInnenklasse. Die Ursache dafür liegt vielmehr in der Tatsache, daß dem Proletariat und den Unterdrückten eine revolutionäre Führung fehlt. Stattdessen stehen an der Spitze der ArbeiterInnenbewegung reformistische Bürokratien, die mit ihrer Politik den Kampf der Massen verraten und verkaufen. Entweder exekutieren sie als direkte Handlanger die Befehle der Kapitalistenklasse (PASOK) oder sie helfen dieser als indirekte Handlanger, indem sie das Proletariat mit einer Strategie in den Kampf führen, die unweigerlich in einer Niederlage enden muß (KKE, Synapismos). Der Zentrismus ist unfähig ein tatsächlich revolutionäres Programm als politische Alternative zur Bürokratie zu entwickeln (wie z.B. die pseudo-trotzkistischen Kräfte (Marxistiki Foni/IMT, DEA) und maoistische Organisationen (wie z.B. KOE), die mit Synapismos das Bündnis SYRIZA (Koalition der Radikalen Linken) bilden oder Antarsya (einer Koalition von SEK/IST, OKDE-Spartakos/Vierte Internationale und anderen (Xekinima/CWI gehörte SYRIZA bis vor wenigen Monaten an).

 

24.          Die Phase der ausgedehnten vor-revolutionären Krise droht zu verfaulen. Eine vor-revolutionäre oder revolutionäre Situation kann nicht ewig anhalten. Die Massen werden mit der Zeit erschöpft und verlieren das Vertrauen in die Möglichkeit des Sieges. Gleichzeitig rüstet die herrschende Klasse zu einem entscheidenden Gegenschlag und bereitet die Errichtung eines bonapartistischen Regimes mit weitreichenden Machtbefugnissen für die Exekutive. Vor dem Hintergrund der tiefen Wirtschafts- und Sozialkrise ist im Falle der fortgesetzten Unfähigkeit der ArbeiterInnenbewegung auch die Stärkung des Faschismus und rabiaten Nationalismus unausweichlich (z.B LAOS und Chrysi Avyi). Nur der zeitgerechte Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei auf der Grundlage einer bolschewistischen Programms kann gewährleisten, daß der entschlossene Kampf der Massen mit einem Sieg – also der proletarischen Machtergreifung –und nicht mit einer schweren Niederlage endet.

 

Führungskrise – Das Elend von PASOK, KKE und SYRIZA

 

25.          Der ArbeiterInnenklasse in Griechenland sind von mehreren Seiten her Fesseln angelegt. Die Regierungspartei PASOK erweist sich in dieser Krise einmal mehr als direkter Handlanger des inländischen und ausländischen Monopolkapitals. Sie spielt eine führende Rolle innerhalb der großen Gewerkschaftsverbände – dem Dachverband GSEE sowie der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ADEDY. Beim letzten Kongreß des Gewerkschaftsdachverbandes GSEE im März 2010 konnte PASKE – die PASOK-nahe Gewerkschaftsfraktion – 48,2% der Delegiertenstimmen hinter sich vereinigen. Doch nützt sie in sozialdemokratischer Manier ihren Einfluß dazu aus, die Kämpfe zu bremsen und zu kanalisieren. Die PASOK-Regierung schreckt auch nicht davor zurück, die ArbeiterInnen mittels militärischer Repression in die Knie zu zwingen. So versuchte die Regierung mittels sogenannter Ziviler Mobilisierungsbefehle den Streik der Müllarbeiter zu brechen. Aus Angst vor dem Streik von Millionen Arbeitern gegen ihre Politik versuchte die Regierung am Mittwochabend, den 17-tägigen Streik der Müllwerker in Athen mit Gewalt zu beenden. Dieses Gesetz stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und ermöglicht die zwangsweise Bereitstellung von staatlichen Dienstleistungen. Dadurch werden streikende Arbeiter faktisch einer militärischen Disziplin unterstellt. Falls sie sich weigern, können sie bis zu fünf Jahre ins Gefängnis geworfen werden.

 

26.          Allerdings verstärken sich gleichzeitig auch die inneren Widersprüche angesichts der wachsenden Empörung unter den Massen. Eine Reihe von führenden Gewerkschaftsfunktionären sieht sich mittlerweile gezwungen, mit PASOK zu brechen. Selbst die PASKE spaltet sich in verschiedenen Gewerkschaften (Lehrer, Gemeindebedienstete, Eisenbahner) von der PASOK ab.

 

27.          Es ist bezeichnend, daß PASOK Teil der sozialdemokratischen Internationale ist. Sie ist ein konterevolutionäres Instrument wie auch die anderen sozialdemokratischen Parteien Europas, die die imperialistische Plünderungspolitik Griechenlands mittels der verschiedenen EU-„Hilfspakete“ unterstützen.

 

28.          Die Kommunistische Partei KKE ist eine klassisch stalinistische Partei – d.h. sie ist eine bürgerliche Arbeiterpartei, die von einer Bürokratie beherrscht wird, die der Aufrechterhaltung des Kapitalismus dient und deren soziale Basis v.a. Teile der ArbeiterInnenklasse darstellen. Ihre Gewerkschaftsfraktion PAME erhielt beim letzten GSEE-Kongreß 20,9% der Delegiertenstimmen. Sie besitzt wichtige Bastionen – v.a. unter klassischen Kernschichten des Proletariats wie die Hafen- oder die Bauarbeiter – und übt einen wichtigen Einfluß unter den klassenbewußten ArbeiterInnen aus. Allerdings ist PAME nicht stark genug, um ähnlich wie die GSEE und ADEDY Generalstreiks zu organisieren. Die KKE spielte eine zentrale Rolle im antifaschistischen Befreiungskampf während des Zweiten Weltkrieges, bildete jedoch 1944 mit den bürgerlichen und monarchistischen Kräften eine gemeinsame Regierung und ermöglichten so die Entwaffnung vieler Partisanen und die Errichtung eines kapitalistischen Staates während der revolutionären Krise 1944/45. Auch im Jahr 1990/91 beteiligte sie sich an einer Koalitionsregierung mit PASOK und Nea Dimokratia (ND, der konservativen Partei). Sie verfolgt heute die stalinistische Strategie der Errichtung einer „gesellschaftlichen Volksfront“ – auch „antiimperialistische, antimonopolistische, demokratische Front des Volkes“ genannt. Zu diesem Zweck versucht sie nicht nur die ArbeiterInnen und Bauern zu organisieren, sondern auch die Kleinbourgeoisie (sie hat für die „kleinen Selbständigen und Kleinhändlern“ eine eigene Vorfeldstruktur geschaffen: die PASEVE – die Antimonopolistischen Protestbewegung Aller Griechen).

 

29.          Ihre bürgerliche Rolle zeigte sich auch während des Aufstandes der Jugend im Dezember 2008 (einer wochenlange Massenrevolte – nicht unähnlich dem August-Aufstand des Armen in Britannien – nach der Ermordung des 15-jährigen Schülers Alexandros Grigoropoulos durch zwei Polizisten). Während zehntausende Jugendliche auf der Straße gegen die Polizei kämpften, verleumdete die KKE-Generalsekretärin Papariga die Militanten als „Hooligans“ und als „Vermummte“, die „vom Geheimdienst und ausländischen Zentralen gelenkt“ werden. (Interview 17.12.2008)

 

30.          Entsprechend ihrer reformistischen Politik orientiert sich die KKE vor allem auf eine Stärkung ihrer Position im Parlament. Der Klassenkampf auf der Straße und in den Betrieben dient der Unterstützung ihrer parlamentarischen Position. Papariga erklärte 2010 in einem „Vorschlag zur Krisenlösung“, daß die Partei nur dann ihren Schwerpunkt auf den außerparlamentarischen Kampf legt, wenn sie keine Möglichkeiten für parlamentarische Koalitionen und Manöver sieht: „Aber wenn das politische Kräfteverhältnis uns keine wirksame Einmischung zugunsten des Volkes ermöglicht, dann legen wir den Schwerpunkt auf die außerparlamentarische Bewegung.“. Die KKE gibt sich oft radikal und redet gerne von Sozialismus und der Macht der ArbeiterInnenklasse. Doch anstatt sich in der gegenwärtigen revolutionären Krise, der Welle von Streiks und Generalstreiks und der Platzbesetzungsbewegungen auf die Organisierung eines Aufstandes und der revolutionären Machtergreifung zu orientieren, fordert sie – wie auch anderen reformistische und zentristische Kräfte (z.B. SYRIZA) – die Bildung einer „Übergangsregierung“ und Neuwahlen.

 

31.          Bolschewiki-Kommunisten lehnen die Losung nach Neuwahlen ab, da sie in der gegenwärtigen Phase des zugespitzten Klassenkampfes und der Massenmobilisierungen nichts anderes als eine reformistische Ablenkung vom Kampf auf der Straße und in den Betrieben hin auf die parlamentarische Ebene bedeutet. Sie ist Ausdruck einer Orientierung der reformistischen Bürokratie, die von der politischen Krise und den Massenmobilisierungen ausgeworfene Machtfrage auf bürgerliche Weise mittels einer Neubesetzung des Parlaments und einer neuen bürgerlichen Regierung zu lösen anstatt durch einen Aufstand und den Sturz der herrschenden Klasse.

 

32.          Vor diesem Hintergrund sind auch die Zusammenstöße während des zwei-tägigen Generalstreiks am 19./20. Oktober zu bewerten. Mittels einer massiven Mobilisierung ihrer Ordnerkräfte schützte die KKE mit einer Menschenmauer das Parlament, ließen den Ein- und Ausgang des Parlaments frei um den Abgeordneten die Teilnahme an der Abstimmung über das neuerliche brutale Sparpaket zu ermöglichen und sperrte den davor liegenden Syntagma-Platz ab. Dadurch sollten radikalere Kräfte vom Parlament fern gehalten werden – wie die Bewegung „Den Plirono“ (Ich zahle nicht!)“, die militante Gewerkschaft der Gemeindebediensteten POE-OTA, die radikalen Linke sowie die Autonomen/Anarchisten. Als Reaktion auf das bürokratische und teilweise gewaltsame Vorgehen der KKE-Ordner kam es daraufhin zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den KKE-Ordnern und radikalen Teilen der DemonstrantInnen. Dies war das Resultat der Rolle, die die KKE am 20. Oktober einnahm: die einer bürgerlichen Hilfspolizei, die das Parlament gegen die Massen schützte, während dort ein neuerliches Sparpaket beschlossen wurde. (Nicht zu Unrecht werden die KKE/PAME-Schläger oft als „KNAT“ bezeichnet – einer Kombination der Begriffe KNE – der KKE Jugendorganisation KNE – und der Spezialpolizei MAT.)

 

33.          Die KKE denunzierte die radikalen Kräfte danach als „Anarcho-Faschisten“. Viele Zentristen verurteilten sowohl die KKE als auch die radikalen Kräfte. Dabei übersehen die meisten dieser Linken folgendes: Ohne Zweifel werden von autonomen/anarchistischen Kräften immer wieder kontraproduktiv eine Eskalation mit der Polizei herbeigeführt. Aber dies darf nicht vom politischen Gesamtzusammenhang ablenken. Vor dem Hintergrund zahlreicher Generalstreiks und des weitverbreiteten Hasses des Volkes gegen das Parlament und die Regierung, den wiederholten Angriffen von DemonstrantInnen gegen das Parlamentsgebäude in der Vergangenheit, ist es absurd, wenn KKE/PAME und andere ihr Verhalten damit rechtfertigen, daß sie eine Arbeiterdemonstration gegen einige wildgewordene Anarchisten schützen wollten. Nein, die stalinistische Bürokratie wollte der herrschenden Klasse angesichts der Regierungskrise und der möglichen Neuwahlen demonstrieren: „Wir sind eine seriöse, staatstragende Kraft, die das Parlament in Zeiten der Krise schützen und die Bewegung kontrollieren kann.“ Die Politik der KKE erinnert deutlich an die Rolle der Stalinisten im spanischen Bürgerkrieg 1936-39, wo diese die bürgerliche Republik verteidigten und dazu gegen die radikalen Kräfte entschlossen vorging. Doch wenn die KKR ihre Rolle ausgespielt hat, wird die Reaktion wie damals in Spanien auch sie wegfegen.

 

34.          Das Bündnis SYRIZA wird von der links-reformistischen Partei Synaspismos dominiert, einer euro-kommunistischen Abspaltung von der KKE aus dem Jahre 1991. Die Gründungskader von Synaspismos waren führend an der Koalitionsregierung mit Nea Dimokratia und PASOK 1990/91 beteiligt. Synaspismos ist heute Teil der Europäischen Linkspartei und verfolgt eine links-sozialdemokratische Politik, die die Ursache der Krise in der neoliberalen Politik sieht und sich auf ein Reformprogramm und eine Regierungsbeteiligung im Rahmen des Kapitalismus orientiert. Bezeichnenderweise unterstütze Synaspismos in den 1990er Jahren die extrem chauvinistische Hetze des griechischen Staates gegen Mazedonien und mobilisierte für gemeinsame Demonstrationen unter dem Moto „Mazedonien ist griechisch“ mit den Konservativen, PASOK und der Kirche.

 

35.          2010 kam es zu einer Abspaltung des rechten Flügels von Synaspismos um den früheren Justizminister Fotis Kouvelis (aus der Zeit der Koalitionsregierung 1990/91), die nun die reformistische Partei Demokratische Linke (DIMAR) bilden. DIMAR vertritt die sozialdemokratische Logik noch konsequenter als KKE und SYRIZA. Kouvelis fordert Neuwahlen, damit „die politische Krise sich nicht in eine Krise der Demokratie verwandelt“. Und der DIMAR-Abgeordnete Grigoris Psarianos rief Anfang November 20011 PASOK und ND zur Bildung einer mehrmonatigen Übergangsregierung auf, die das Land “auf europäischen Kurs” halt und die “demokratische Normalität” aufrechterhält. Hier spricht eine Partei, die sich der Bourgeoisie als seriöser Regierungskoalitionspartner zur Verwaltung der kapitalistischen Staatgeschäfte anbiedert.

 

36.          Auch wenn sich SYRIZA heute manchmal radikaler gibt und dadurch die Hoffnungen von Teilen der kämpferischen Schichten unter den ArbeiterInnen und der Jugend auf sich ziehen kann, ist sie im Kern eine links-reformistische Kraft. Bezeichnenderweise forderte SYRIZA in den vergangenen Monaten offiziell nicht den Rücktritt der Regierung, sondern eine Volksabstimmung über die Schulden und die Einsetzung eines Komitees, das prüfen soll, welche Schulden akzeptiert und welche annulliert werden sollen. Ähnlich wie die KKE fordert sie Neuwahlen und hat eine reformistisch-parlamentarische Strategie als Antwort auf die Krise. Ihr Ziel ist es, einen Platz in einer bürgerlichen Regierung zu finden („eine neue Koalition der Macht“, SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras 4.11.2011). Deswegen appelliert heute Tsipras an den Staatspräsidenten Karolos Papoulias, im Interesse des Schutzes der Verfassung Neuwahlen auszurufen. „Jeder hat die von der Verfassung abgeleitete Verpflichtung, Initiativen im Interesse der Erhaltung des sozialen Zusammenhalts und der nationalen Integrität zu setzen.” Man solle „Initiativen setzen, um zu verhindern, daß wir uns unerfreulichen Ereignissen gegenübersehen, die das Volk, die Institutionen und unsere Demokratie im Gegensatz zueinander bringen.“ (31.10.2011) Solche Stellungnahmen einer vorgeblich „radikalen Linken“ in Zeiten der schweren Krise der kapitalistischen Demokratie sagen viel mehr aus über den durch und durch bürgerlich-reformistischen Charakter von SYRIZA als hunderte Beschwörungen des Antikapitalismus und Sozialismus in programmatischen Sonntagsreden. Jene, die meinen SYRIZA wäre linker als die KKE, irren gewaltig. Ebenso bezeichnend ist auch die Tatsache, daß verschiedene zentristische Organisationen wie Marxistiki Foni/IMT, DEA und KOE seit Jahren Teil der links-reformistischen SYRIZA sind, den Bruch mit der reformistischen Synaspismos scheuen und somit Mitverantwortung für deren Verrat tragen.

 

37.          In Griechenland ist traditionell der Anarchismus relativ stark. Dessen Stärke ist eine Strafe für die Verbürokratisierung der ArbeiterInnenbewegung und den Verrat ihrer Führungen in der Vergangenheit. Angesichts der Schwäche der revolutionären Kräfte ist es keine Überraschung, daß sich viele Jugendliche und wohl auch einige ArbeiterInnen dem Anarchismus zuwenden. Bekommen sie doch mit der KKE eine Version des „Leninismus“ und der „Disziplin der Arbeiterklasse“ präsentiert, die im Namen des Kommunismus eine antikommunistische Politik betreibt, die aufständischen Jugendlichen als „Hooligans“ denunziert und ihre Ordner zum Schutz des Parlaments einsetzt. Gleichzeitig müssen wir aber auch sehen, daß viele junge AktivistInnen in ihrem Engagement in den Reihen des Anarchismus fehlgeleitet sind. Denn ohne revolutionäre (nicht stalinistische!) Partei ist kein revolutionärer Sturz des Kapitalismus möglich. Ohne Hinwendung zur ArbeiterInnenklasse in den Betrieben, ohne Taktik gegenüber den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung, kann die ArbeiterInnenklasse nicht für die Revolution gewonnen werden. ohne diszipliniertes Vorgehen bei Demonstrationen und Straßenkämpfen können sich leicht Polizeiprovokateure in die Reihen der Demonstration einschleichen und konterproduktive Aktionen setzen. Kurz, wir appellierend an die AktivistInnen der Anarchismus, den Kampf für die Abschaffung von Klassen und Staat auf der Grundlage des wirklich kommunistischen Programms und in den Reihen einer tatsächlichen revolutionären Kampfpartei der ArbeiterInnenklasse zu führen.

 

Aufschwung spontaner Bewegungen

 

38.          Der massive Aufschwung des Klassenkampfes in den letzten Monaten hat wichtige und sehr hoffnungsvolle Entwicklungen unter den Massen befördert. Aus der Unzufriedenheit mit den von den Bürokratien der Gewerkschaften und der KKE dominierten und bislang erfolglosen Protesten entstand mit den Protesten am 25. Mai 2011 die spontane Massenbewegung Kínima Aganaktisménon Politón (Empörte Bürgerbewegung). Die Bewegung erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt im Sommer, als an ihren Demonstrationen und Versammlungen teilweise zehntausende oder sogar hunderttausende Menschen teilnahmen. Sie fordert die Streichung der Schulden und die Vertreibung der Regierung, der EU-Troika, des IWF, der Banken „und aller die uns ausbeuten“. Wie so viele spontane Massenbewegung ist auch diese politisch widersprüchlich. Einerseits verkörpert ihr Wunsch nach „echter Demokratie“, ihre frontale Ablehnung von Regierung, EU, IWF und „Ausbeutern“ sowie ihr Durchbrechen der bürgerlichen Legalität durch das Mittel der Platzbesetzungen ein enorm fortschrittliches Potential. Andererseits kommt durch ihre mangelnde organisierte Verankerung in den Betrieben sowie ihre Ablehnung gegen die Teilnahme von politischen Organisationen an den Versammlungen ein kleinbürgerlich-rückschrittlicher Charakterzug dieser Protestbewegung zum Ausdruck.

 

39.          Aufgrund ihres radikal-demokratischen Charakters und damit ihrer Unkontrollierbarkeit durch die Bürokratie sieht die KKE-Führung diese Bewegung als Bedrohung. Beschämenderweise verurteilt sie diese als „unpolitisch“ und lehnt jede Beteiligung und Unterstützung dafür ab.

 

40.          Die Haltung der Bolschewiki-Kommunisten gegenüber solchen spontanen kleinbürgerlich-demokratischen Protestbewegungen zeichnet sich aus durch die Verbindung von a) der aktiven Beteiligung und Unterstützung der Bewegung, b) einer politisch klaren, pädagogischen Kritik an der kleinbürgerlichen Orientierung, der anti-Parteien Stimmung usw., c) dem offenen Eintreten für eine Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse und den Aufbau von Aktionskomitees in den Betrieben, Stadtteilen und Ausbildungsstätten und d) einer klaren Perspektive auf die sozialistische Revolution und den Aufbau einer revolutionären Kampfpartei der ArbeiterInnenklasse.

 

41.          Ein weiteres, sehr wichtiges Phänomen ist die Ausbreitung von Basisversammlungen und der Bildung von Basiskomitees in zahlreichen Betrieben und Stadtteilen. Diese Komitees entstehen spontan und sind kaum untereinander vernetzt. Damit einher gehen auch zahlreiche Besetzungsaktionen von öffentlichen Gebäuden.

 

Programm der Revolution

 

42.          Griechenland hat in den vergangenen eineinhalb Jahren eine vor-revolutionäre Entwicklung durchgemacht. (und davor gab es noch den Aufstand der Jugend Ende 2008/Anfang 2009, der ebenfalls eine vor-revolutionäre Situation eröffnete). Zahlreiche Generalstreiks (bislang 12), Platzbesetzungen und unzählige Demonstrationen haben den Kampfwillen der Massen unterstrichen. Aber bislang haben diese heroischen Kämpfe keinen Erfolg gehabt: Die PASOK-Regierung konnte bislang die brutalen Sparpakete im Parlament durchpeitschen.

 

43.          Die Ursache für dieses Scheitern liegt in der Tatsache, daß an der Spitze der Mobilisierungen keine revolutionäre Kampfpartei der ArbeiterInnenklasse steht, sondern reformistische Bürokratien mit zentristischen Anhängseln. Sie verfolgen eine Strategie der Ohnmacht und des Todlaufens der Bewegung und hoffen über Neuwahlen an die einträglichen Pfründe der Macht heranzukommen.

 

44.          Der Schlüssel, das entscheidende Instrument zur Überwindung der gegenwärtigen Krise ist der Aufbau einer revolutionären Partei. Nur wenn eine solche Partei existiert, kann die ArbeiterInnenklasse für ein Programm der sozialistischen Machteroberung gewonnen und das Tor zur Befreiung aufgestoßen werden. Der erste Schritt in diese Richtung ist die Schaffung einer revolutionären Parteiaufbauorganisation, um ein solche Programm zu entwickeln und AktivistInnen auf dieser Grundlage zusammenzuschließen.

 

45.          Die zentrale Tragödie Griechenlands besteht gerade in der riesigen Kluft zwischen den Aufgaben des Kampfes und der Entschlossenheit der ArbeiterInnenklasse auf der einen Seite und der fürchterlichen politischen Rückständigkeit der ArbeiterInnenbewegung auf der Ebene der Partei. Sie verfügt nicht einmal ansatzweise über eine revolutionäre Partei, die das Proletariat zur Machteroberung führen kann. Viele kämpferische ArbeiterInnen und junge AktivistInnen unterstützen heute entweder reformistische bzw. zentristische Kräfte (z.B. PASOK-nahe Gewerkschaften, KKE/PAME, SYRIZA, DIMAR, Antarsya), Autonome/Anarchisten oder sie sind unorganisiert. Daraus erwächst die zentrale Bedeutung der Einheitsfronttaktik. Der Kampf für die Gewinnung zuerst der Vorhut und dann des gesamten Proletariats erfordert, daß sich revolutionäre Kräfte nicht nur direkt an die ArbeiterInnen richten. Sie müssen sich mit ihren Forderungen auch an die bestehenden Organisationen wenden und das bedeutet, auch an deren Führungen. Sich an die Führungen wenden bedeutet keineswegs, sich Illusionen über deren reformistischen bzw. zentristischen Charakter machen. Im Gegenteil, Revolutionäre legen der ArbeiterInnenklasse offen dar, warum diese Führungen nicht in der Lage sind, den Befreiungskampf zum Erfolg zu führen, warum sie ein Hindernis für die Revolution sind und warum sie daher durch eine revolutionäre Partei ersetzt werden müssen. Aber die ArbeiterInnenklasse kann nicht ausschließlich mit den Mitteln der Propaganda für den revolutionären Standpunkt gewonnen werden – sie müssen auch ihre eigenen Erfahrungen mit ihren bestehenden Führungen machen. Gerade in einer revolutionären Krise kann die ArbeiterInnenklasse aber zehnmal so schnell lernen wie in normalen Klassenkampfzeiten. Daher gilt es, Forderungen nach dem Aufbau von Aktionskomitees, ArbeiterInnenmilizen usw. bis hin zur ArbeiterInnenregierung auch an die heutigen Führungen der griechischen ArbeiterInnenbewegung wie PASOK-nahe Gewerkschaften, KKE/PAME, SYRIZA, DIMAR, Antarsya zu richten.

 

46.          Ein revolutionäres Programm für die Krise Griechenlands muß zuerst einmal den Charakter der gegenwärtigen Krise und die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen darlegen. Diese Krise kann nicht durch Reformen und Regierungskoalitionen im Rahmen des Kapitalismus überwunden werden. Die ArbeiterInnenklasse und die gesamten Volksmassen werden ein soziales Massaker, einen gesellschaftlich-historischen Rückschritt erleben, wenn die herrschende Kapitalistenklasse – unabhängig davon, ob ND, PASOK, KKE oder SYRIZA deren Geschäfte verwalten – nicht rechtzeitig gestürzt wird. Das prägendste Element der gegenwärtigen Lage ist daher die Machtfrage.

 

47.          Das wissen auch die Parteien und spüren die Massen. Deswegen wollen die Massen die Politiker und die Regierung zum Teufel jagen. Deswegen schlagen die Reformisten und Zentristen ihre Antwort auf die Machtfrage vor. Sie fordern Neuwahlen und eine „linke“ oder „antimonopolistische Volksregierung“. Verschiedene Zentristen (z.B. CWI, IMT) teilen diese Neuwahl-Perspektive nicht. Sie treten für einen länger andauernden oder gar unbefristeten Generalstreik, den Sturz der Regierung sowie die Bildung einer ArbeiterInnenregierung ein. So richtig ihre Ablehnung der reformistischen Neuwahl-Orientierung ist, so falsch und naiv ist ihr Konzept des Kampfes für eine ArbeiterInnenregierung. Es ist für den Zentrismus charakteristisch, daß er in einer (vor-)revolutionären Situation die Machtfrage organisch, ohne Bruch, als eine Art Übergang stellt – mit anderen Worten, daß er die Machtfrage auf eine opportunistische, nicht-revolutionäre Weise beantwortet. Der unbefristete Generalstreik wird als ein wochenlanger Ausstand gesehen, als Folge dessen die Regierung dann zum Rücktritt gezwungen ist und aus dem dann eine auf Gewerkschaften, linken Parteien, Delegierten der Aktionskomitees gestützte Arbeiterregierung hervorgeht. Dies ist in einer (vor-)revolutionären Situation eine völlig unrealistische Perspektive der proletarischen Machteroberung. Mehr noch, es ist eine gefährliche opportunistische Illusion, die der Zentrismus damit in den Reihen der Arbeitervorhut verbreitet.


48.          Nicht zufälligerweise hängen diverse Zentristen wie CWI oder IMT der revisionistischen Theorie des friedlichen Übergangs zum Sozialismus an. Das Szenario des Bürgerkrieges und der entsprechenden politischen und militärischen Vorbereitung ist außerhalb ihres Horizontes. Doch die herrschende Klasse wird nicht freiwillig ihre Macht aufgeben und auch ein paar Straßenschlachten werden dafür nicht ausreichen. Bereits jetzt spricht die CIA offen von der Möglichkeit eines Militärputsches und das US-Wirtschaftsmagazin Forbes bewirbt bereits einen Staatstreich mit der Überschrift „The Real Greek Solution: A Military Coup“ (26.10.2011) Wir warnen davor, daß dem griechischen Proletariat eine fürchterliche Erfahrung wie in Chile 1973 droht. Wer die Revolution nicht konsequent zu Ende führt, wird mit der Geisel der Konterrevolution bestraft. Bolschewiki-Kommunisten verkleistern nicht die notwendigen Umstände zur Lösung der Machtfrage und verschmähen nicht ihre Ansichten. Sie sagen offen, daß die Machtfrage nur durch eine sozialistische Revolution gelöst werden kann. Revolution heißt bewaffneter Aufstand und Bürgerkrieg der organisierten ArbeiterInnenklasse unter Führung einer revolutionären Partei. Revolution heißt Kampf für die Diktatur des Proletariats. Denn nur unter einem solchen Regime können die Volksmassen vom Joch der Kapitalherrschaft befreit, die Wirtschaft nach den Interessen der Gesellschaft geplant, die Klassenfeinde unterdrückt und die Revolution international ausgebreitet werden. Die Arbeiterregierung in einer (vor)revolutionären Situation als konkrete Perspektive zu propagieren, ohne die ArbeiterInnenklasse auf die damit unausweichlich verbundenen Aufgaben des Bürgerkrieges und des bewaffneten Aufstandes vorzubereiten, ohne die Notwendigkeit des Aufbaus einer bewaffneten Arbeitermiliz hervorzuheben heißt nichts anderes als die reformistische Illusionen zu einen schrittweisen, friedlichen Übergang in Richtung Sozialismus zu verbreiten. Die Bolschewiki-Kommunisten weisen diese Politik des Zentrismus entschlossen zurück.


49.          Aus der Machtfrage als zentrale Achse des Aktionsprogramms in der gegenwärtigen Phase der griechischen Politik ergeben sich verschiedene Konsequenzen. Die ArbeiterInnenklasse kann die Macht nur erobern, wenn sie entsprechend organisiert ist und für die Macht zu kämpfen lernt. Das revolutionäre Aktionsprogramm muß die zentralsten Fragen des unmittelbaren Überlebenskampfes aufgreifen und mit der Frage der Macht verbinden.


50.          Damit die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten den Abwehrkampf selbst bestimmen können, müssen sie in den Betrieben, den Stadtteilen, den Ausbildungsstätten Aktionskomitees bilden. Auf regelmäßigen Versammlungen der Beschäftigten, der EinwohnerInnen, der SchülerInnen oder StudentInnen sollen die wichtigsten lokalen als auch nationalen Fragen besprochen werden. Die Beschlüsse sollen von gewählten Delegierten umgesetzt werden, die diesen Versammlungen rechenschaftspflichtig sind und von ihnen jederzeit abgewählt werden können.


51.          Solche Aktionskomitees sind der erste Schritt zu Räten (oder Sowjets wie sie 1917 in Rußland genannt wurden). Räte/Sowjets sind das Instrument der ArbeiterInnenklasse mittels der sie auch ihre Gegenmacht aufbauen und den Kampf um die Kontrolle im Betrieb bzw. den Ausbildungsstätten führen kann. Solche Aktionskomitees/Räte sollen Delegierte wählen und sich lokal, regional und national zusammenschließen. Für eine landesweite Konferenz von Delegierten aller Aktionskomitees/Räte! Fordert die KKE, SYRIZA, DIMAR usw. auf, für den Aufbau von Räten aktiv zu werden!


52.          Gerade in der gegenwärtigen Phase des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, wo viele Betriebe ArbeiterInnen entlassen oder gar still gelegt werden, ist die Losung der ArbeiterInnenkontrolle von entscheidender Bedeutung. Alle Betriebe, die Löhne kürzen, Entlassungen androhen oder gar zusperren wollen, müssen die Geschäftsbücher offen legen. Wir treten für deren sofortige Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle ein. Ebenso wichtig sind die Losung der Betriebsbesetzungen und die Weiterführung der Produktion unter ArbeiterInnenverwaltung. Die bereits bestehenden Initiativen zur Verweigerung der Zahlung von erhöhten Abgaben, Steuern, Mieten usw. sind ein wichtiger Schritt. Sie müssen durch Aktionskomitees/Räte koordiniert und zu einer effektiven Massenkampagne ausgeweitet werden.


53.          Kaum eine Demonstration vergeht ohne Angriffe der schwer bewaffneten Polizei. Die herrschende Klasse denkt bereits öffentlich über die Möglichkeit eines Militärputsches nach. All das unterstreicht die dringende Notwendigkeit der organisierten Bewaffnung der ArbeiterInnenklasse und der Jugend. Unmittelbar ist natürlich der Aufbau von schlagkräftigen Selbstverteidigungseinheiten vordringlich, um Demonstrationen, Streiks, Migrantengemeinden usw. gegen Polizeiangriffe, Faschisten und Provokateure zu schützen. Doch in der gegenwärtigen Situation, in der sich klar die Machtfrage stellt, reicht es bei weitem nicht aus, sich auf die Losung der Selbstverteidigungseinheiten zu beschränken (wie es diverse Zentristen tun). Die Macht kann nur erobert werden, wenn die ArbeiterInnenklasse ihre eigenen bewaffneten Organe – nämlich ArbeiterInnenmilizen – schafft: Anstatt das Parlament gegen kämpferische Demonstranten zu schützen, soll die KKE/PAME ihren Ordnerdienst lieber in den Dienst der ArbeiterInnenmiliz stellen! Gleichzeitig müssen Revolutionäre auch organisierte Zersetzungsarbeit in den bewaffneten Streitkräften (Armee, Polizei) betreiben, denn diese können bald für einen entscheidenden Schlag gegen das Volk eingesetzt werden.


54.          Keine Orientierung auf Neuwahlen, sondern auf den Sturz der Regierung durch einen unbefristeten Generalstreik und einen bewaffneten Aufstand! Für die Bildung einer Arbeiterregierung gestützt auf ArbeiterInnenräte und –milizen! Als ersten Schritt: Zwingt die heute dominanten ArbeiterInnenorganisationen – GSEE, ADEDY, PAME, KKE, SYRIZA, DIMAR und Antarsya – zur Bildung einer ArbeiterInnenregierung gestützt auf die Mobilisierung der Massen! Nieder mit der PASOK/ND-Verschwörung gegen das Volk! Die Macht liegt nicht im Parlament, sondern auf der Straße! Damit eine solche Regierung eine tatsächliche ArbeiterInnenregierung wird, muß sie sich ausschließlich auf die Organe der ArbeiterInnenmacht (Räte, Milizen etc.) stützen, die Bourgeoisie enteignen und den Staatsapparat zerschlagen. Selbstverständlich wird die Entstehung und Aufrechterhaltung einer ArbeiterInnenregierung, die eine solche revolutionäre Politik betreibt, auf den entschlossenen und gewaltsamen Widerstand der herrschenden Klasse treffen. Daher ist eine ArbeiterInnenregierung ohne bewaffnete Organe eine impotente Karikatur, die umgehend einem Militärputsch wie in Griechenland 1967 oder in Chile 1973 zum Opfer fallen würde. Auch wenn Reihenfolge und Entwicklungstempo nicht vorausgesagt werden können, so liegt es auf der Hand, daß die Frage der ArbeiterInnenregierung, des unbefristeten Generalstreiks und des bewaffneten Kampfes um die Macht untrennbar miteinander verbunden sind.


55.          Gegen den Schraubstock der Schuldenfalle stellen wir die Losung der Streichung aller Schulden auf. Keine Halbierung der Schulden, kein Moratorium, kein Komitee zur Überprüfung der Schulden – sondern einfach Streichung aller Schulden! Nicht nur die Schulden der öffentlichen Hand, sonder auch die der Privathaushalte und der kleinen Selbständigen sollen umgehend gestrichen werden.


56.          Die Wirtschaft darf nicht länger Spielball einer kleinen Gruppe von Konzernherren und Finanzjongleuren sein! Für die Enteignung der Superreichen – dieser kleinen Elite von Monopolkapitalisten! Für die Verstaatlichung der in- und ausländischen Banken, Industrie- und großen Dienstleistungsunternehmen sowie des Großgrundbesitzes (inklusive der Kirchengüter!) unter der Kontrolle der ArbeiterInnen! Die ArbeiterInnenbewegung muß einen Wirtschaftsnotplan erarbeiten, um das Überleben der Bevölkerung und des Landes angesichts der Erpressungen des Monopolkapitals zu sichern.


57.          35% der Erwerbstätigen Griechenlands sind selbständig. Viele von ihnen sind nicht-ausbeutende Bauern oder kleine Gewerbetreibende, die als Verbündete für die sozialistische Revolution gewonnen werden können. Voraussetzung dafür ist aber, daß die ArbeiterInnenklasse den Weg der sozialistischen Machteroberung geht. Eine ArbeiterInnenregierung braucht ein Programm für die Bauern und die unteren Mittelschichten: Für die Nationalisierung des Grund und Bodens! Kein kleiner Bauer und kein kleiner Gewerbetreibender wird gegen seinen Willen enteignet. Für die Streichung der Schulden der Bauern und kleinen Gewerbetreibenden – stattdessen zinslose Kredite! Förderung des Zusammenschlusses in freiwilligen Genossenschaften mit dem längerfristigen Ziel der freiwilligen Kollektivierung!


58.          Internationale Solidarität! Die internationale ArbeiterInnenbewegung – allen voran die Europas – muß ihren Brüdern und Schwestern in Griechenland zur Hilfe eilen. Die Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien Europas müssen eine umgehende Kampagne für die vollständige Streichung aller Schulden Griechenlands organisieren. Kampf den Regierungen und der EU-Kommission, die unverhohlen Griechenland zu erpressen versuchen! Für eine Kampagne innerhalb der ArbeiterInnenbewegung gegen den von Medien und auch der Sozialdemokratie betriebenen anti-griechischen Chauvinismus! Die internationalen Gewerkschaften der Bankangestellten müssen eigenständige Untersuchungen einleiten und öffentlich machen sowohl über die Kapitalflucht der griechischen Kapitalisten als auch die Spekulationen und Profitabzocke der internationalen Banken auf Kosten Griechenlands.


59.          Nein zum griechischen Chauvinismus! Für völlige Gleichberechtigung für nationalen Minderheiten und MigrantInnen! Für das Selbstbestimmungsrecht der nationalen Minderheiten bis hin zum Recht auf Lostrennung! Für volle Staatsbürgerrechte für MigrantInnen, gleiche Löhne, Anerkennung ihrer Sprache als gleichberechtigt in Ämtern und Schulen, für die Abschaffung der Staatssprache! Für die massive Organisierung von MigrantInnen in den Gewerkschaften! Gleichberechtigte Vertretung der MigrantInnen auf allen Leitungsebenen!


60.          Kampf der Unterdrückung der Frauen! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Statt Kürzungen bei den öffentlichen Dienstleistungen fordern wir den massiven Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen sowie öffentlicher und preisgünstiger Restaurants und Waschküchen als Schritt in Richtung Vergesellschaftung der Hausarbeit!


61.          Eine ArbeiterInnenregierung würde umgehend mit der imperialistischen EU und der Euro-Zone brechen und stattdessen den Aufbau des Sozialismus in Griechenland sowie die internationale Ausbreitung der Revolution auf den Balkan und ganz Europa vorantreiben. Für eine sozialistische Balkanföderation! Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!


62.          Noch einmal: die Griechische Revolution wird in einer schweren Niederlage enden, wenn es nicht gelingt, rechtzeitig eine revolutionäre Kampfpartei der ArbeiterInnenklasse auf der Grundlage eines bolschewistischen Programms zu bilden. Die Zeit drängt! Die Bolschewiki-Kommunisten der RKOB suchen die Diskussion und den Zusammenschluß mit allen ernsthaften Revolutionären in Griechenland.