Der revolutionäre Kampf in der Ära des kapitalistischen Zusammenbruchs

Manifest der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT), verabschiedet auf dem IV. Kongress, September 2023, www.thecommunists.net

 

Vorwort

Dieses Manifest wurde auf dem IV. Kongress der Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz (RCIT) diskutiert und verabschiedet. Aufbauend auf den Methoden und Strategien unserer bisherigen programmatischen Dokumente – "Das Revolutionär-Kommunistische Manifest" (2012), das "Manifest für Revolutionäre Befreiung" (2016) und " Das Feuer der Revolution wird den katastrophenhaften Kapitalismus verzehren!" (2021) – soll dieses Dokument als eine Aktualisierung angesehen werden, welche die Veränderungen und Herausforderungen der aktuellen Phase berücksichtigt.

 

 

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Ein Zeitalter der Katastrophen, Kriege und revolutionären Kämpfe

 

 

 

Wir leben in einer Zeit, die viele Menschen als eine nicht enden wollende Periode von Katastrophen wahrnehmen. Die Klimakrise mit verheerenden Folgen für die Weltbevölkerung, scharfe Einbrüche der Weltwirtschaft abgelöst von Perioden der Stagnation, steigende Inflation, ein Kalter Krieg zwischen den Großmächten des Ostens und des Westens, der leicht in ein nukleares Armageddon übergehen könnte, ein großer Krieg in der Ukraine, Künstlicher Intelligenz, die Bedrohungen umfassender Überwachung und Kontrolle der Gesellschaft unter dem Vorwand einer Pandemie oder anderer Gefahren, ...

 

All diese Entwicklungen bestätigen die Analyse der RCIT über den tiefgreifend revolutionären Charakter der historischen Periode, die 2008 mit der Großen Rezession und dem Aufstieg Chinas zur imperialistischen Macht begann und die langjährige US-Hegemonie beendete. Heute ist es offensichtlich, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung zerbrochen ist und sich in einer langwierigen Phase des Zusammenbruchs befindet, gekennzeichnet durch Chaos, Katastrophen und Kriege. Angesichts des Todeskampfes ihres Systems versucht die herrschende kapitalistische Klasse – die berüchtigten Herren von Macht und Geld – sich mit allen verfügbaren Mitteln vor dem Ertrinken zu retten.

 

Es ist offensichtlich, dass der Markt und das damit verbundene politische System – entgegen den Behauptungen bürgerlicher Tagträumer – weder in der Lage sind, eine rationale Wirtschaft zu schaffen, die eine nachhaltige Zukunft und hohe Lebensqualität gewährleisten kann, noch die demokratischen Rechte für die Mehrheit der Weltbevölkerung gewährleisten können.

 

Von der Invasion fremder Länder bis zu Drohungen an Rivalen mit einem präventiven Atomangriff, von der Beeinträchtigung der Lebensstandards und der sozialen Rechte, bis hin zur Überausbeutung von Migranten und Frauen, von der rücksichtslosen Plünderung der natürlichen Ressourcen unseres Planeten, bis hin zur Verwandlung der Gesellschaft in ein Glashaus, in dem die Machthaber jeden und alles beobachten – das ist der Kapitalismus in Reinkultur. Es kann auch gar nicht anders sein, da es ein System ist, in dem die super-reichen Kapitalisten versuchen, Gewinne aus allem zu pressen, wo sie nur können, und in dem die Großmächte süchtig danach sind, nach Aufrüstung und der Vernichtung ihrer Rivalen zu streben.

 

Um die Menschheit zu retten, müssen wir den Kapitalismus zerstören. Entweder sie oder wir. Entweder behält die herrschende Klasse die Macht und zerstört unseren Planeten und seine Bewohner oder die Arbeiterklasse und die Unterdrückten stürzen diese dekadenten Parasiten und nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Es muss das Letztere sein, denn wir wollen leben – frei, ohne Ketten; friedlich, ohne Angst vor Kriegen; mit Kindern, die nicht hungrig ins Bett gehen müssen oder Ängste um die Zukunft haben!

 

Um dies zu erreichen, dürfen wir uns nicht passiv unserem Schicksal ergeben. Wir müssen unser Schicksal selbst in die Hand nehmen! Die Macht übernehmen bedeutet, der herrschenden Klasse ihre Macht wegzunehmen. Es bedeutet eine Revolution durchzuführen, also einen bewaffneten Aufstand, da Herrscher niemals friedlich auf ihre Macht verzichten. Eine Revolution, die den Kapitalismus abschafft, ist per Definition eine sozialistische Revolution. Das ist es, was wir brauchen, und das ist es, was wir tun müssen!

 

Auf der ganzen Welt haben sich die Massen in den letzten Jahren immer wieder gegen Elend und Unterdrückung erhoben. Um nur einige Beispiele zu nennen für die Entschlossenheit der Arbeiter und Unterdrückten im Kampf für ihre Rechte, verweisen wir auf die Große Arabische Revolution, die 2011 begann, die heroische Intifada des palästinensischen Volkes, Volksaufstände in Burma/Myanmar, Peru und Hongkong, somalische Partisanen, die gegen ausländische Besatzer kämpfen, das sich gegen nationale Unterdrückung wehrende Volk im Süden Nigerias, Massenproteste in Frankreich und Katalonien, ukrainische Arbeiter und Jugendliche, welche die Waffen gegen Putins Invasion ergreifen sowie mutige Anti-Kriegs-Proteste in Russland. Weitere Beispiele sind die großen Kämpfe der Arbeiter und Volksmassen im "Hinterhof" der USA, wie der Aufstand in Plaza Dignidad in Chile, der mit der Politik der Einschränkungen der COVID-Konterrevolution gestoppt wurde, oder die militanten Mobilisierungen gegen die Diktatur von Dina Boluarte in Peru, die zeigen, dass der Kontinent unaufhaltsam auf einen weiteren revolutionären Aufschwung gegen populistische oder neoliberale Regierungen zusteuert.

 

Aber in all diesen Kämpfen fehlen ein revolutionäres Programm zur Befreiung und eine Partei, die sie zum Sieg führen könnte. Stattdessen sind solche Proteste entweder spontan und die kämpferische Energie erlischt bald, oder sie werden von nicht-revolutionären Kräften – Reformisten und Populisten, kleinbürgerliche Nationalisten und/oder Islamisten – angeführt, die solche Kämpfe in eine Sackgasse führen. Daher wird eine Revolution nicht einfach passieren. Sie muss gezielt durchgeführt werden – sie muss von uns durchgeführt werden. Sie wird definitiv nicht unter der Führung nicht-revolutionärer Kräfte stattfinden. Eine Revolution kann nur erfolgreich sein, wenn sie von Revolutionären organisiert und geführt wird. Ein solches Vorhaben erfordert Vorbereitung und Organisation. Es erfordert den kollektiven Zusammenschluss von Gleichgesinnten, die sich auf das Ziel und die Mittel zur Erreichung dessen verständigen.

 

Mit anderen Worten, wir brauchen eine revolutionäre Partei mit einem klaren Programm, das heißt, eine Partei, die sich auf ein wissenschaftliches marxistisches Programm stützt. Eine solche Partei darf nicht auf eine einzige Stadt oder ein einzelnes Land beschränkt sein – sie muss eine revolutionäre Internationale sein, eine Weltpartei für die sozialistische Revolution in der Tradition von Marx, Engels, Lenin und Trotzki.

 

Die RCIT ist eine internationale Organisation, die sich diesen großen Aufgaben widmet und dafür die Vereinigung konsequenter Revolutionäre vorantreibt. Wir rufen diejenigen, die mit der Perspektive und unserem Programm, wie es in diesem Manifest ausgearbeitet ist, übereinstimmen, dazu auf, sich uns anzuschließen und zur Meisterung der größten Aufgabe unserer Zeit beizutragen: die Befreiung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten von den Fesseln des katastrophenhaften Kapitalismus – einer Gesellschaftsordnung, die im Verfall begriffen ist und die droht, die Menschheit in den Abgrund zu ziehen!

 

Unterdrückungskriege und Befreiungskriege

 

 

 

Da wir in einem Zeitalter des kapitalistischen Zusammenbruchs leben, ist es unvermeidlich, dass soziale, politische und militärische Widersprüche zu Explosionen führen. Deshalb ist die gegenwärtige Periode durch Kriege und Revolutionen gekennzeichnet – die beiden schärfsten Formen des Klassengegensatzes.

 

Die inner-imperialistische Rivalität zwischen den Großmächten (USA, China, Russland, EU und Japan) ist eine der wichtigsten Triebkräfte der Weltlage. Derzeit sind diese Mächte in einem westlichen Bündnis (USA, Westeuropa und Japan) und einem östlichen Bündnis (China und Russland) gruppiert, wobei beide Bündnisse nicht ohne innere Widersprüche existieren.

 

Alle imperialistischen Staaten sind in ein Wettrüsten getreten, verhängen Handelssanktionen gegen ihre Rivalen und versuchen, ihren Einfluss in den halb-kolonialen Ländern auszudehnen. Die USA besetzten Afghanistan und den Irak in der Zeit ihres berüchtigten "Kriegs gegen den Terror", Russland besetzte blutig Tschetschenien und griff die Ukraine an, Frankreich und andere europäische Mächte haben Truppen nach Nord- und Zentralafrika entsandt, ebenso wie Russlands Wagner PMC. US-Spezialeinheiten mit hochmodernen Drohnen operieren und töten in Somalia, usw.

 

Als Marxistinnen und Marxisten unterscheiden wir streng zwischen gerechten Kriegen und ungerechten Kriegen, Kriegen der Unterdrückung und Befreiungskriegen. Gerechte Kriege sind bewaffnete Aufstände und Bürgerkriege der Arbeiterklasse und der Volksmassen gegen die herrschende Klasse, unterdrückter Nationen gegen ihre Unterdrücker, demokratischer Kräfte gegen reaktionäre und faschistische Gegner. Gerechte Kriege sind Kriege der nationalen Verteidigung halb-kolonialer Länder gegen imperialistische Aggressoren. Reaktionäre Kriege sind Kriege der herrschenden Klasse beziehungsweise imperialistischer Mächte gegen die Unterdrückten sowie militärische Konflikte zwischen Fraktionen der herrschenden Klasse, beziehungsweise zwischen reaktionären oder imperialistischen Staaten.

 

In einer von explosiven Widersprüchen, Unterdrückung und inner-imperialistischer Rivalität geprägten Welt ist es möglich (und bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich), dass beide Arten von Konflikten – gerechte Befreiungskriege und inner-imperialistische Rivalität – sich vermischen (zum Beispiel im Ukraine-Krieg). In einer solchen Situation ist es die Aufgabe der Marxisten, die Entwicklung solcher Konflikte genau zu analysieren und zu bestimmen, welches Element überwiegt und wann sich ein solcher Charakter ändert.

 

Die RCIT und alle authentischen Sozialisten haben immer bedingungslos die Unterdrückten in Befreiungskriegen unterstützt, ohne ihre nicht-revolutionäre Führung zu unterstützen (wie zum Beispiel Argentinien gegen Großbritannien im Malvinas-Krieg 1982, Afghanistan und der Irak gegen die USA und ihre Verbündeten in den Jahren 2001-2003 und danach, Tschetschenien in den Jahren 1994-1996 und 1999-2009, sowie die Ukraine gegen Russland in den Jahren 2022-2023, Bosnien 1992-1995 und Kosovo 1998-1999, die syrischen Rebellen gegen die Streitkräfte von Assad und Russland, die Rebellen in Burma/Myanmar gegen die Militärdiktatur seit 2021, der somalische Widerstand gegen ATMIS/westliche Truppen).

 

In reaktionären Konflikten stehen wir in Opposition zu beiden Lagern (wie zum Beispiel im Kalten Krieg zwischen den westlichen Mächten und Russland/China; in reaktionären Bürgerkriegen wie dem in Sudan zwischen der Armee und den RSF-Truppen im Jahr 2023).

 

In Befreiungskriegen fordern wir den militärischen Sieg des progressiven Lagers und die Niederlage der reaktionären Kräfte. Wir unterstützen militärische Hilfe für die Unterdrückten und befürworten alle Mittel, die die Unterdrücker schwächen (Boykott, Sabotage, Verbrüderung zwischen den Soldaten beider Lager, das Umdrehen der Gewehre gegen die Armeeführung und dergleichen). In reaktionären Kriegen setzen wir uns für Lenins Programm des revolutionären Defätismus in beiden Lagern ein. Das heißt keinerlei Unterstützung für die militärische Anstrengungen oder für nicht-militärische Mittel der Aggression (wie wirtschaftliche Sanktionen oder chauvinistische Kampagnen), Verbrüderung zwischen Arbeitern und Soldaten beider Lager, Umwandlung des reaktionären Krieges in einen Bürgerkrieg gegen die herrschende Klasse usw.

 

Sozialistinnen und Sozialisten lehnen Pazifismus und seine giftige Befürwortung der Gewaltlosigkeit entschieden ab. Natürlich kämpfen wir für eine Welt des Friedens, aber dies wird nur möglich sein, wenn das globale kapitalistische System, das auf Klassen und Staaten basiert, durch eine sozialistische Weltföderation ersetzt wurde. Bis dahin bedeutet die Ablehnung von Gewalt im Kampf um Befreiung, sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen zu lassen. Diejenigen, die Pazifismus predigen – selbst, wenn sie die besten Absichten haben – unterstützen objektiv diejenigen, die an der Macht sind und Waffen haben. An solche Pazifisten sagen wir: Verzeihung, aber Gewaltlosigkeit ist keine Lösung! Ergreift eine Waffe im Kampf für die Freiheit oder bleibt für immer ein hilfloser Sklave!