Die Tschad-Intervention des österreichischen und EU-Imperialismus als Prüfstein für die Linke

Über jene Linke, die ihren Schein-Antiimperialismus mit marxistischen Phrasen tarnen

 

Von Michael Pröbsting

 

Vorwort der Redaktion: Im Folgenden veröffentlichen wir ein Essay von Michael Pröbsting über die Positionen der linksreformistischen und zentristische Linken zur militärischen Intervention der EU im Tschad 2008. Die Arbeit wurde im Frühjahr 2008 im Journal „Unter der Fahne der Revolution“ Nr.2/3 – dem theoretischen Organ der Liga der Sozialistischen Revolution (LSR) – veröffentlicht. Die LSR war die österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale (LFI). Genosse Pröbsting war seit 1989 führendes Mitglied der LFI und wurde mit einer Gruppe Gleichgesinnter im April 2011 aus der LFI ausgeschlossen, als sie sich der zunehmenden zentristischen Degeneration der LFI widersetzten. Gemeinsam mit Genossinnen und Genossen in Pakistan, Sri Lanka, USA und Österreich bauten sie eine neue internationale Organisation auf – die Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz (RCIT). Genosse Pröbsting ist Internationaler Sekretär der RCIT. Wir veröffentlichen den Artikel in seiner 2008 veröffentlichten Form und haben im letzten Satz den Verweis auf die LFI durch den Verweis auf die RCIT ersetzt.

 

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Ein auffälliges Merkmal der Proteste gegen die Tschad-Intervention des österreichischen und des EU-Imperialismus ist die geringe Beteiligung der sich als marxistisch bezeichnenden Linken. Die SJ „kämpft“ gegen die Tschad-Mission ihres Parteigenossen und Kriegsminister Darabos mit … höflichen Presseerklärungen, die im Endeffekt keine Position im Konflikt beziehen, sondern lediglich die Regierung auffordern mehr Entwicklungshilfe zu leisten. Ebenso die KPÖ. Linke SJ-Gruppen wie der Funke kündigen zwar großmäulig Aktionstage gegen den Tschad-Krieg an, was dann in der Praxis auf einen Kurzbesuch von 4 Leuten bei einer unserer Kundgebungen hinausläuft. Aber auch andere Gruppen wie die SLP beschränken ihr Engagement auf ein Minimum, womit sie allerdings noch immer aktiver sind als Gruppen wie die Linkswende. Tatsache ist auf jeden Fall, daß neben der Liga der Sozialistischen Revolution und der Jugendorganisation REVOLUTION v.a. Organisationen aktiv sind, die sich gar nicht oder nur eingeschränkt als marxistisch verstehen (neben der AIK in Wien sind dies die v.a. Steirische Friedensplattform und die Werkstatt Frieden & Solidarität, die in Graz und Linz ähnliche Protestkundgebungen wie wir in Wien organisiert haben).

 

Im folgenden Artikel wollen wir – nach einer knappen Darstellung unserer Position zum Tschad-Konflikt [1] – die marxistische Imperialismus-Analyse und die daraus abgeleitete Strategie und Taktik im antiimperialistischen Kampf gegen Krieg und Besatzung darlegen und sie kritisch mit der Entstellungen durch die linksreformistischen und zentristischen Organisationen vergleichen. [2]

 

Revolutionäre Strategie und Taktik im Kampf gegen die imperialistische Kolonialpolitik der EU im Tschad

 

Die Position der Liga der Sozialistischen Revolution (LSR) läßt sich in folgende Thesen zusammenfassen:

 

1.            Wir verurteilen die von der UNO abgesegnete Militärintervention der EU und Österreichs als imperialistische Intervention und als Kolonialkrieg. Die angebliche „humanitäre Hilfe für Flüchtlinge“ ist nichts als eine der üblichen Lügen, derer sich die imperialistischen Haus- und Hofschreiberlinge regelmäßig bedienen. Die wirklichen Interessen des EU- und des österreichischen Imperialismus und die Bedeutung der EUFOR-Intervention liegen im Folgenden:

a.            angestrebte Kontrolle der beträchtlichen Erdölreserven in Afrika, insbesondere im Tschad und dessen Nachbarländer Libyen, Sudan und Nigeria.

b.            Einkreisung des Sudans, wo ein bürgerlich-islamistisches Regime herrscht, das China nahesteht und daher von den westlichen imperialistischen Großmächten als Feind betrachtet wird.

c.             Ausweitung des geostrategischen Einflusses des EU-Imperialismus und Zurückdrängung des Einflusses der anderen Großmächte. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Zurückdrängung der Kontrolle von zwei Drittel des tschadischen Erdöls durch die USA. Die Konkurrenz zwischen der EU und den USA wird also im verarmten Tschad ausgetragen.

d.            Ausnützung dieser bislang größten EU-Militärintervention zur Stärkung der EU als imperialistisches Kriegsbündnis, zum Ausbau seiner militärischen Kapazitäten und allgemein der Rechtfertigung der politischen und militärischen Vereinigungsprozesses der Europäischen Union (EU-Reformvertrag) sowie Vorbereitung weiterer Einsätze.

e.             Ausnützung der erstmaligen Teilnahme österreichischer Soldaten an einem Kriegseinsatz zur ideologischen Rechtfertigung des Militarismus hierzulande sowie der Teilnahme Österreichs an den EU-Battlegroups – den EU-Schlachttruppen.

 

2.            Wir lehnen den Tschad-Einsatz ohne Wenn und Aber ab und fordern den sofortigen und bedingungslosen Abzug aller EU-Truppen und daher natürlich auch aller Bundesheer-Soldaten. Ebenso fordern wir die Auflösung aller imperialistischen Militärbasen (insbesondere der französischen) im Tschad.

 

3.            Der französische und insgesamt der EU-Imperialismus haben sich klar auf die Seite der durch einen Putsch 1990 an die Macht gelangte Militärdiktatur von General Idriss Déby gestellt (2006 verteidigte das im Tschad stationierte französische Militär das Regime gegen einen Aufstandsversuch). Gleichzeitig hat die Rebellenbewegung sich klar nicht nur gegen das Déby-Regime gestellt, sondern auch v.a. die französischen Truppen, die dieses unterstützen. Daher die Kritik der Rebellen an der EUFOR-Intervention. Eine Unterscheidung zwischen dem Bürgerkrieg zwischen dem Déby-Regime und den Rebellen auf der einen Seite und dem Konflikt zwischen den imperialistischen EU-Truppen und den Rebellen auf der anderen Seite ist daher immer weniger möglich.

 

4.            Die österreichische und europäische ArbeiterInnenklasse hat ein fundamentales Interesse an der Niederlage ihres Hauptfeindes. Und dieser Hauptfeind ist die herrschende imperialistische Klasse in Österreich und der EU! In militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Rebellenbewegung und den EUFOR-Truppen und der Armee des Deby-Regime treten wir daher für die Niederlage letzterer und den Sieg der Rebellenbewegung ein.

 

5.            Doch wir unterstützen nicht das politische Programm der Führungen der Rebellenbewegung. Wir unterstützen ihren praktischen Kampf ausschließlich deswegen, weil dieser das Potential für die Erringung konkreter sozialer und demokratischer Errungenschaften bis hin zur Einleitung eines revolutionären Prozesses, für die Stärkung der Selbstorganisation und das politische Bewußtsein der ArbeiterInnenklasse, der Bauernschaft und der städtischen Armut und für die Schwächung unseres Feindes, der imperialistischen Bourgeoisie in sich birgt. Aus diesem Grund legen MarxistInnen offen ihre politische Kritik an der Politik der bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Führungen der Rebellenbewegung dar und warnen vor deren Verrat an den Interessen der unterdrückten Massen. Daher besteht auch die Gefahr, daß wenn die Rebellen an die Macht gelangen, es der reichen imperialistischen EU gelingen könnte - so wie auch in anderen armen halb-kolonialen Staaten - die neu an die Macht gekommene Führungsgruppe zu bestechen und für ihre Interessen einzukaufen.

 

6.            Wir treten ein für die unabhängige Organisierung der ArbeiterInnenklasse (v.a. der Industriearbeiterschaft als der potentiell führenden Schicht) im Tschad und die Organisierung der armen Bauernschaft unter Führung der ArbeiterInnenklasse. Neben der Vorantreibung der gewerkschaftlichen u.ä. Organisierung der Massen geht es insbesondere um den Aufbau einer von der Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum unabhängigen ArbeiterInnenpartei auf Grundlage eines revolutionären Programms. Letztlich ist für Afrika ein Ausweg aus dem Elend des Kapitalismus nur dann möglich, wenn es zu einem revolutionären Bruch mit der Abhängigkeit vom Imperialismus und der Errichtung einer weltweiten Föderation sozialistischer Republiken kommt. Im Rahmen einer solchen sozialistischen Gesellschaft könnte dann ein internationaler Notplan durchgeführt werden, der dann mit Unterstützung der reichen Länder eine systematische Zuführung industrieller Ressourcen und moderner Technologien nach Afrika ermöglichen könnte. Auf diese Weise könnten die blutigen Narben jahrhundertelanger Ausbeutung und Unterdrückung durch den Kolonialismus und Imperialismus wettgemacht werden.

 

Ausgehend von dieser Haltung hat die Liga der Sozialistischen Revolution und die Jugendorganisation REVOLUTION nicht nur mehrere Stellungnahmen veröffentlicht, sondern auch federführend an der Organisierung von zwei Protestaktionen in Wien Anfang Februar mitgewirkt. [3]

 

Das geringe Engagement eines Großteils der heimischen „Marxisten“ gegen die Tschad-Intervention wirft die Frage nach den Ursachen dieser Passivität auf. Warum tauchen sie ab, wenn österreichische Soldaten im Tschad einmarschieren? Vielleicht weil sie mit so vielen anderen, wichtigeren Aktivitäten beschäftigt sind? Wohl kaum, es sei denn sie halten ihren Aktivismus vor aller Welt geheim, was ja sonst nicht der Gewohnheit dieser Gruppen entspricht.

 

Genauso falsch wäre es zu argumentieren, dass es doch jeder Gruppe selbst überlassen sei, welche Schwerpunkte sie in ihrer Arbeit setzt, dass während für die eine Organisation der Einsatz im Tschad eine zentrale Rolle spielt, sich andere Organisationen auf andere Aktivitäten konzentrieren. Die Frage welche politische Priorität man setzt ist keine Frage des Zufalls oder der Laune, sondern der politischen Analyse und der daraus folgenden Gewichtung einzelner Themen. Wie wir im folgenden zeigen werden, liegt der Hauptgrund dafür im politischen Versagen dieser zentristischen Gruppen, im Konkreten ihres Unverständnisses des Charakters des Imperialismus und der traditionellen marxistischen Haltung in dieser Frage sowie der sich daraus ergebenden praktischen Schlußfolgerungen, insbesondere der antiimperialistischen Einheitsfronttaktik.

 

Antimarxistische Tradition der Anpassung an Imperialismus und Pazifismus

 

Der Grundtenor der meisten reformistischen und zentristischen Gruppen (SJ, KPÖ, Funke, SLP…) ist, sich auf eine bloße Ablehnung des Truppeneinsatzes zu beschränken. [4] Wie wir bereits in unserer Resolution „Revolutionäre Strategie und Taktik im Kampf gegen die imperialistische Kolonialpolitik der EU im Tschad“ festhielten, ist diese Position im Endeffekt die gleiche – wenn auch mit marxistischen Worten ausgeschmückte – Haltung wie jene der bürgerlichen Oppositionsparteien im Parlament, die ebenfalls den Bundesheereinsatz ablehnen. [5] Diese Gruppen können sich nicht zu einem tatsächlichen Antiimperialismus durchringen, d.h. nicht bloß den Imperialismus in Erklärungen verurteilen, sondern tatsächlich für die Niederlage des Feindes – des österreichischen Imperialismus und des EU-Imperialismus – im Kampf gegen jene Kräfte im Tschad einzutreten, die ihre Ablehnung des EU-Einsatz bereits zum Ausdruck gebracht haben.

 

Die Linke versteht nicht, daß sie in diesem Konflikt nicht neutral sein darf, sondern Partei ergreifen muß. Partei ergreifen für die Niederlage des österreichischen und EU-Imperialismus und für jene Rebellenkräfte, die eine solche Niederlage bewerkstelligen können.

 

Nun muß man sich vor Augen halten, daß eine solche weiche, anpaßlerische Haltung gegenüber dem Imperialismus für diese Gruppen keineswegs neu ist, sondern tatsächlich auf eine alte opportunistische Tradition zurückgeht. Die damals noch – vor der Spaltung des CWI im Jahre 1991 – gemeinsame britische Schwesterorganisation von SLP und Funke, die Militant-Strömung innerhalb der sozialdemokratischen Labour Party, lehnte 1982 die Verteidigung Argentiniens gegen den Kriegsfeldzug des britischen Imperialismus ab. Großbritannien entsandte damals unter Führung der erzkonservativen Regierungschefin Thatcher seine Marine, Luftwaffe und Soldaten vor die Küste Argentiniens, um seine kolonialen Ansprüche auf die Malvinas-Inseln mit Waffengewalt durchzusetzen. Unsere britische Schwesterorganisation Workers Power lehnte Thatchers Krieg von Anfang an ab und trat für die Niederlage des britischen Imperialismus und den militärischen Sieg Argentiniens ein. Militant/CWI hingegen lehnte in ihrer Kapitulation vor dem Chauvinismus der herrschenden Klasse im eigenen Land sogar die Losungen für ein Ende des Krieges und für den Rückzug der britischen Truppen ab! Diese Kapitulation vor dem eigenen Imperialismus rechtfertigte das CWI mit dem bemerkenswert offenherzigen Argument, daß diese Forderung und die zu ihrer Durchsetzung notwendigen Kampfmethoden „nicht die Unterstützung der britischen ArbeiterInnen gefunden hätten.“ Ebensowenig „hätte der Aufruf, den Krieg zu beenden oder auch nur für den Rückzug der Flotte die Grundlage für eine Massenkampagne an Demonstrationen, Veranstaltungen und Agitation bieten können.[6]

 

Stattdessen riefen sie zu Neuwahlen und der Regierungsübernahme durch die sozialdemokratische Labour-Partei auf. Eine solche Labour-Regierung solle dann eine „sozialistische Politik zu Hause und im Ausland“ verwirklichen. Statt den Krieg um seine Kolonialbesitztümer zu beenden und Argentinien zurückzugeben, forderte Militant, daß eine solche britische Labour-Regierung „den Krieg auf einer sozialistischen Grundlage fortsetzen soll.[7] Solange dies noch nicht der Fall sei, forderte Militant die Gewerkschaften zur Durchsetzung von Handelssanktionen gegen Argentinien auf – und das zur gleichen Zeit, in der die britische Flotte Krieg gegen Argentinien führte! [8] Hier tritt der Zentrismus als verkappte Form des Reformismus und Sozialimperialismus offen zu Tage.

 

Ebenso verweigerten 1991 KPÖ, SJ und der Vorwärts/CWI (damals die gemeinsame Organisation von SLP und Funke innerhalb der SJ) die Verteidigung des Iraks gegen den Angriffskrieg der imperialistischen Großmächte. Während der ArbeiterInnenstandpunkt – wie die Liga der Sozialistischen Revolution damals hieß – und unsere internationale Tendenz damals auf Seiten des Iraks standen, unterstützen die KPÖ und SJ sogar das vor dem Krieg im August 1990 von der UNO verhängte Handelsembargo gegen den Irak. [9] Und der Vorwärts behauptete anfangs sogar, daß der Irak kein halbkoloniales, vom Imperialismus unterdrücktes Land sei, sondern selber ein imperialistischer Staat (also qualitativ das gleiche wie die Staaten Westeuropas). Diese kühne Behauptung, die tief in das Imperialismus-Verständnis des CWI-„Marxismus“ blicken läßt, wurde zwar ohne öffentliche Erklärung wieder zurückgenommen. Doch die entscheidende politische Schlußfolgerung – nämlich im Krieg zwischen den größten imperialistischen Mächten der Welt auf der einen Seite und dem Irak auf der anderen Seite neutral zu bleiben – blieb aufrecht.

 

Ähnlich die Haltung dieser Gruppen 2001 beim Afghanistan-Krieg, als die größte imperialistische Macht der Welt, den USA, gemeinsam mit den europäischen imperialistischen Mächten eine der ärmsten, rückständigsten Halbkolonien – die damals unter der Herrschaft der reaktionären, islamistischen, Taliban standen – überfiel und besetzte. Die französische Schwesterpartei der KPÖ saß damals sogar in derselben Regierung, die Frankreichs Truppen zur Teilnahme an dem imperialistischen Überfall und der anschließenden Besatzung Afghanistans entsandte. Die KPÖ erklärte, ob der US-Imperialismus Afghanistan besiege oder nicht, sei ihr egal. Auch in diesem Konflikt standen wir auf der Seite des halbkolonialen Landes und traten für deren militärischen Sieg über die imperialistischen Aggressoren ein wenngleich wir natürlich die reaktionäre Herrschaft der Taliban ablehnten. In einer öffentlich geführten schriftlichen Auseinandersetzung mit uns schrieb der damalige KPÖ-Pressesprecher, Didi Zach: „Ich finde das Kriegsresultat letztendlich ‚für gleich gut bzw. schlecht’, egal ob der US-Imperialismus siegt oder die Taliban. Wenn ihr vom ArbeiterInnenstandpunkt dies für eine ’praktisch fatale und theoretisch unmarxistische Position’ haltet, so sei euch dies unbenommen. Vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt, entscheide ich mich für österreichische oder auch französische Mozartkugeln. (…) Ob SIEG oder nicht SIEG der USA ist in all diesen Fragen ziemlich irrelevant.[10]

 

Aber nicht nur die KPÖ, sondern auch andere Gruppen wie die SLP verweigerten die Verteidigung Afghanistans. Peter Taaffe, der zentrale CWI-Führungskader in Britannien, polemisierte in einem Artikel gegen die antiimperialistische Haltung von Workers Power (der britischen Sektion der Liga für die 5. Internationale) und anderen Gruppen:

Wenn wir nun diesen Krieg von Seiten des Imperialismus als durch und durch reaktionär begreifen, bedeutet dies, dass wir uns, und sei es „kritisch“, mit jenen zusammentun, die angeblich den USA ‚Widerstand’ geleistet haben, namentlich bin-Ladin, seine al-Qa`ida und die Taliban-Regierung? Unglaublich, das ist die Position von einigen kleinen trotzkistischen Gruppen wie ‚Workers Power’ (Arbeitermacht (D); ArbeiterInnenstandpunkt (Ö)) und der morenoistischen LIT. Letztere ist hauptsächlich in Lateinamerika aktiv. Ihr Anspruch wird absolut kein Echo unter der weltweiten ArbeiterInnenklasse, im Speziellen jener der entwickelten kapitalistischen Länder, finden. Nichts desto trotz, da sie während des Krieges einige von Trotzkis alten Schriften zur Rechtfertigung ihrer Position herangezogen haben, könnten (und taten dies in einigen Fällen) sie einige Jugendliche und ArbeiterInnen verwirren und irreleiten, die mit ihnen in Kontakt gekommen sind. Es ist deshalb nötig, sich hier mit ihren Argumenten auseinander zu setzen, als einem Mittel, Klarheit über diese Punkte in unseren eigenen Reihen zu schaffen. Sie zeigen auch grundlegende Verwirrung über die Entwicklungen innerhalb des ‚Islam’.[11]

 

Und schließlich erlebten wir ähnliches beim Irak-Krieg 2003 und dem seitdem stattfindenden Kampf gegen imperialistische Besatzung. Diesmal lehnte die KPÖ sogar nicht nur die Verteidigung des Iraks ab, sondern erklärte sich solidarisch mit ihrer irakischen Schwesterpartei, die die Besetzung des Landes durch den US-Imperialismus unterstützte und an der von den Besatzern eingesetzten „Regierung“ teilnimmt.

 

Bei all diesen Positionen haben wir es schlussendlich mit einem Unverständnis der Frage der antiimperialistischen Einheitsfront zu tun, die sich hinter unterschiedlichsten Argumentationen verbergen. Bei der KPÖ ist dies ihre strategische Ausrichtung auf eine Allianz mit Teilen der Bourgeoisie (Volksfront-Politik), die in Österreich mit dem abgetragenen Mantel des Austro-Patriotismus bekleidet wurde. Bei CWI/SLP hängt dies mit ihrer opportunistischen Anpassung an reformistische Bürokratie in der ArbeiterInnenbewegung und den Vorurteilen der besser gestellten Teile der ArbeiterInnenklasse zusammen.

 

Der Kapitalismus als Einheit von Ökonomie, Politik und Ideologie

 

In ihrer Beurteilung von Kämpfen zwischen imperialistischen Großmächten und Kräften in halbkolonialen Ländern bleiben viele zentristische Gruppen bei einem scheinbar marxistischen, in Wirklichkeit aber zurückgebliebenen, unwissenschaftlichen Schema hängen. Nach diesem vulgärmarxistischen Schema reicht es aus, alle politischen und militärischen Konflikte in der modernen Klassengesellschaft auf einen einzigen Widerspruch – nämlich jenen zwischen Kapital und Proletariat – zu reduzieren und diesen Widerspruch vor allem von seiner ökonomischen Seite her zu betrachten. Eine solche Sichtweise – wie sie z.B. für die SLP oder den Funke typisch ist – hat in Wirklichkeit nichts mit Marxismus und viel mit ordinärem Ökonomismus oder – um es in den Worten Lenins zu formulieren – „imperialistischen Ökonomismus“ zu tun.

 

Eine solche kindische Sichtweise ignoriert vollkommen die Tatsache, daß der Kapitalismus als Gesellschaftsformation nur in ihrer Totalität – als Gesamtheit von ökonomischer Basis sowie politischen und ideologischen Überbau – begriffen werden kann. Der Kapitalismus ist eine politische und ökonomische Einheit der (Klassen-)Gegensätze. Er kann nur als Totalität der ökonomischen Produktionsverhältnisse und des politischen, gesellschaftlichen sowie des ideologischen Überbaus verstanden werden. Diese verschiedenen Ebenen bedingen sich gegenseitig und können nur in wechselseitiger Abhängigkeit existieren. Kapital und somit der Kapitalismus setzt aufeinander bezogene und dadurch gesellschaftliche Arbeit voraus. Daher kann Kapital nur existieren, wenn der Austausch der Waren und der Verwertungsprozeß des Kapitals gesellschaftlich geregelt und organisiert wird – daher die Bedeutung von Staat, Rechtsverhältnissen usw. Und weiters kann Kapital nur existieren, wenn die Wert schaffende Ware Arbeitskraft ständig reproduziert und produziert wird – also sie sich permanent durch gesellschaftliche Tätigkeiten (Freizeit, Familie usw.) erholen und durch das Gebären und Aufziehen von Kindern neue Arbeitskräfte schaffen kann. [12]

 

Es ist kein Zufall, daß Marx - und wir in seinem Gefolge - von der politischen Ökonomie und nicht bloß der Ökonomie sprechen. Trotzki stellte daher zurecht fest: Eine reine Ökonomie ist also eine Fiktion[13] Es gebe keine ökonomische Auspressung von Mehrwert im Betrieb, würde nicht auch gleichzeitig der bürgerliche Staatsapparat die entsprechenden Rechtsverhältnisse gewährleisten und notfalls mit Gewaltmitteln erzwingen. Die imperialistische Bourgeoisie könnte ihre Interessen am Weltmarkt nicht durchsetzen, wenn es nicht Staaten gebe, die diese weltweit politisch und militärisch absichern und notfalls auch mittels Krieg und anderer Gewaltmaßnahmen erzwingen. Die Aufrechterhaltung des widersprüchlichen Gleichgewichts einer von Klassengegensätzen zerfressenen Gesellschaft wäre undenkbar, ohne ein feinmaschiges, ideologisches Gewebe, das die unterdrückten Klasse und Schichten an die herrschende Bourgeoisie bindet und dafür sorgt, daß sich diese mit Ausbeutung und Unterdrückung in einem gewissen Ausmaß abfinden. Zusätzlich dazu schafft auch die kapitalistische Produktionsweise selbst eine zunehmend entfremdete Form der Arbeit, indem die von der ArbeiterInnenklasse produzierten Waren ihr selbst nicht als gesellschaftliche Zusammenfassung von Arbeit und somit einem gesellschaftlichen System der Produktion, sondern lediglich in ihrem konkreten Aussehen bzw. Gebrauchswert gegenübertreten.

 

Aus dem Wesen der bürgerlichen Gesellschaftsformation als Totalität von kapitalistischer Ökonomie sowie kapitalistischen politischen und ideologischen Überbau ergibt sich, daß die Klassengegensätze der kapitalistischer Ordnung auf all diesen Ebenen zu Tage treten und zu Tage treten müssen. Klassenkampf spielt sich daher nicht nur im Betrieb ab, sondern findet auch zu zahlreichen politischen und demokratischen Fragen statt (z.B. Militarismus – Aufrüstung im EU-Vertrag, Rassismus – Abschiebung der Familie Zogaj and andere, Krieg – im Irak, Afghanistan, Tschad) ebenso wie auf ideologischer Ebene (z.B. Religion – antiislamische Hetze der FPÖ, Antinationaler oder der katholischen Kirche).

 

Dementsprechend kurzsichtig ist es, wenn der imperialistische Ökonomismus a la SLP und Funke über alle Konflikte das Schema „Entweder A oder B“ stülpt und die Welt gemäß den Regeln der formalen Logik so einteilt, daß all jene Kräfte, die nicht zum Proletariat gehören, automatisch dem anderen Lager, dem des Kapitals, zugeordnet werden. Dabei „vergessen“ die GenossInnen, daß der Kapitalismus nicht einfach auf Kapital und Proletariat reduziert werden kann. Der moderne, imperialistische, Kapitalismus kennt erstens neben dem Kapital und dem Proletariat auch noch die Bauernschaft, das städtische Kleinbürgertum und die lohnabhängigen Mittelschichten. Ebenso kennt er in den imperialistischen Ländern eine ausgeprägte Schichtung innerhalb des Proletariats mit der privilegierten Arbeiteraristokratie auf dem einen Pol und der Masse an unteren Schichten des Proletariats auf dem anderen Pol. Hinzu kommt noch die Teilung der Welt in imperialistische und halbkoloniale Staaten und somit die Teilung in unterdrückende und unterdrückte Nationen und damit verbunden in imperialistische Bourgeoisie und halbkoloniale Bourgeoisie und Kleinbürgertum.

 

Natürlich wäre es auf der anderen Seite auch eine Form des vulgären Antiimperialismus, würde man die Bourgeoisie der jeweiligen halbkolonialen Länder unkritisch unterstützen. Denn in letzter Instanz folgt ihr Kampf gegen die Vormachtstellung des Imperialismus nicht der Ideologie einer klassenlosen Gesellschaft, sondern soll ihre eigenen Bedingungen zur Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse gegenüber der ausländischen Bourgeoisie stärken. Deshalb ist die richtige antiimperialistische Taktik in solchen Fällen die militärische Unterstützung der einzelnen Kräfte in halbkolonialen Ländern, die Widerstand gegen den Imperialismus leisten, bei gleichzeitiger Betonung der Notwendigkeit der unabhängigen Organisierung des Proletariats des jeweiligen Landes. Gleichzeitig darf der antiimperialistische Kampf auch nicht losgelöst vom Kampf für den Sozialismus verstanden werden. Vielmehr kann er erst zu einem wirklichen antiimperialistischen Kampf werden, wenn er den Kampf für Sozialismus von Anfang an in einen antiimperialistischen Widerstand integriert und somit die Frage der Revolution als permanent ansieht, d.h. den Kampf gegen Imperialismus nur als ersten Schritt, als Eröffnung einer ganzen Reihe revolutionären Umwälzungen – von der politischen Machtübernahme des Proletariats bis zur Errichtung einer Planwirtschaft – versteht.

 

Das ökonomistische Herangehen von SLP und Funke ist zutiefst undialektisch und mechanistisch und daher dem Marxismus vollkommen fremd. Unsere Denkweise hingegen beruht auf der materialistischen Dialektik, also jener Denkweise, die die Daseinsweise – also die tatsächlichen Entwicklungsgesetze der naturgegebenen und gesellschaftlichen Wirklichkeit – auf bewußtseinsmäßiger Ebene wiederspiegelt. Die materialistische Dialektik – die von unseren zentristischen GegnerInnen zumindest nicht leichtfertig ignoriert werden sollte, da sie sich ja als MarxistInnen bezeichnen – erfordert ein konkretes und historisches Herangehen an eine Fragestellung.

 

Ein Phänomen – in diesem Fall der Kapitalismus als historische Gesellschaftsformation – darf daher nicht als etwas Starres, ein für alle mal Fixiertes verstanden werden, sondern als etwas sich aufgrund seiner inneren Widersprüche stetig Veränderndes, in Entwicklung Befindliches. Da eben jedes Ding, jedes Phänomen eine spannungsgeladene Einheit von Gegensätzen darstellt, halten sich diese nicht einfach in einem steten, ausgewogenen Gleichgewicht, sondern führen zur Entwicklung, eine Entwicklung, die auf ihren verschiedenen Stufen notwendigerweise zu einem Umschlagen in eine qualitative Veränderung sowie ihre Aufhebung drängt. Es kann deshalb durchaus passieren, dass sich bürgerliche bzw. kleinbürgerliche Kräfte in Situationen vorfinden, in denen sie aufgrund ihrer materiellen Lage – im oben dargestellten Fall in ihrer Lage in einem halbkolonialen Land – gezwungen werden, Widerstand gegen den Imperialismus zu leisten. Wie schon dargestellt, unterstützen wir den militärischen Widerstand zur Zurückschlagung der imperialistischen Vorherrschaft. Die Bedingungen für diese Unterstützung ist, dass die jeweiligen Kräfte nicht nur rhetorisch den Imperialismus ablehnen, sondern auch in der Praxis, z.B. durch militärische Aktionen wie es die Rebellen im Tschad gemacht haben, gegen den Imperialismus bzw. ihre Handlanger kämpfen und dass gleichzeitig die unabhängige Organisierung der ArbeiterInnen und Bauern durch die Tätigkeit von KommunistInnen in keinster Weise eingeschränkt ist. [14]

 

Der Imperialismus ist der Kapitalismus im Stadium seines Niedergangs

 

SLP und Funke, von der KPÖ und der SJ ganz zu schweigen, ignorieren vollkommen die Tatsache, daß der Kapitalismus schon seit langem in das Stadium des Imperialismus eingetreten ist. Der Imperialismus ist das Stadium der kapitalistischen Entwicklung, in dem sich das Kapital aufgrund der unlösbaren inneren Gegensätze seiner Produktionsweise zum Monopolkapital weiterentwickelt hat. Diese Entwicklung ist von keiner äußeren Kraft aufgezwungen worden, ist kein Resultat der Gewaltherrschaft einer politischen Kapitalfraktion (weswegen es im Kapitalismus auch kein Zurück zu einem nicht-monopolistischen Kapitalismus geben kann, wie es sich das illusionäre Konzept des stalinistischen Reformismus von der „antimonopolistischen Demokratie“ erträumt.). Vielmehr geht der imperialistische Kapitalismus aus dem inneren, grundlegenden Widersprüchen und den dadurch bedingten Bewegungsgesetzen des Kapitalismus selber hervor.

Ganz besonders ist dabei zu beachten, daß dieser Wechsel (von der Epoche des ‚friedlichen‘ Kapitalismus zur Epoche des Imperialismus, d. A.) durch nichts anderes herbeigeführt ist, als durch unmittelbare Entwicklung, Erweiterung, Fortsetzung der am tiefsten verwurzelten Tendenzen des Kapitalismus und der Warenproduktion überhaupt.[15]

 

Der Imperialismus ist jenes, letzte, Stadium des Kapitalismus, wo seine Tendenz zur Akkumulation und Konzentration bzw. Zentralisation des Kapitals solche Ausmaße annimmt, daß der Kapitalismus in sein Gegenteil umschlägt (die Negation): von der freien Konkurrenz zum Monopol, von der Sturm- und Drangepoche zur Niedergangsepoche. Lenin schrieb dazu:

Wir müssen mit einer möglichst genauen und vollständigen Definition des Imperialismus beginnen. Der Imperialismus ist ein besonderes historisches Stadium des Kapitalismus. Diese Besonderheit ist eine dreifache: der Imperialismus ist 1. monopolistischer Kapitalismus; 2. parasitärer oder faulender Kapitalismus; 3. sterbender Kapitalismus. Die Ablösung der freien Konkurrenz durch das Monopol ist der ökonomische Grundzug, das Wesen des Imperialismus.[16]

 

Er ist jenes Stadium, in dem sich das Monopolkapital die ganze Welt Untertan macht und machen muß. Das heißt, daß einerseits das Monopolkapital und seine kleine Handvoll imperialistischer Staaten in Nordamerika, Europa und Japan alle ärmeren, halb-kolonialen Länder unterwerfen und ausplündern und zu diesem Zweck auch immer wieder Kriege führen. Und es heißt andererseits, daß diese imperialistischen Großmächte zum Zwecke der effektiveren Ausplünderung zwar zum Teil zusammenarbeiten, gleichzeitig aber im Streit um die Aufteilung der Beute immer wieder unausweichlich in Konflikt geraten bis hin zu Kriegen (siehe die zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert). Gerade diese militaristische Seite des Imperialismus sehen wir in den letzten Jahren besonders deutlich und die Tschad-Intervention des europäischen Imperialismus reiht sich ein in die Serie von Kolonialkriegen der letzten Jahre (z. B. Afghanistan, Irak, Libanon). [17] Dies alles ist kein Zufall oder das Produkt eines wildgewordenen US-Präsidenten, sondern das Resultat der dem modernen Kapitalismus innewohnenden Gegensätze. Folgende Feststellung der Bolschewiki, der marxistischen RevolutionärInnen in Rußland, von vor 90 Jahren hat ihre voll Gültigkeit bewahrt:

"Im Kapitalismus, und besonders in seinem imperialistischen Stadium, sind Kriege unvermeidlich." [18]

 

Der Imperialismus ist daher das höchste und gleichzeitig letzte Stadium des Kapitalismus vor seinem Umschlagen in den Sozialismus, er ist - wie Lenin immer wieder betonte – das Stadium seines Niedergangs:

Es ist begreiflich, warum der Imperialismus sterbender Kapitalismus ist, den Übergang zum Sozialismus bildet: das aus dem Kapitalismus hervorwachsende Monopol ist bereits das Sterben des Kapitalismus, der Beginn seines Übergangs in den Sozialismus. Die gewaltige Vergesellschaftung der Arbeit durch den Imperialismus (das, was seine Apologeten, die bürgerlichen Ökonomen, "Verflechtung" nennen) hat dieselbe Bedeutung.[19]

 

Die Spaltung der Welt in unterdrückende und unterdrückte Nationen als Wesensmerkmal des Imperialismus

 

Genau aus diesem Grund sprechen Lenin und Trotzki von der imperialistischen Epoche als einer Epoche, in der sich die Klassengegensätze zwischen Bourgeoisie und Proletariat in einem solchen Ausmaße entwickeln, daß es weltweit zu einer Spaltung der Staaten und Völker in eine kleine Minderheit herrschender, imperialistischer Staaten und dem großen Rest der Welt, den unterdrückten Nationen kommt. Diese Spaltung der Nationen in herrschende und unterdrückte ist weder eine nebensächliche Frage, ein Nebenwiderspruch um es in der Sprache des reformistischen Stalinismus zu formulieren. Noch ist dieser Gegensatz ein separater, der mit dem Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat in keiner engen, untrennbaren Beziehung stehe.

 

Tatsächlich sind der Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat und der Klassengegensatz zwischen den imperialistischen Mächten und den unterdrückten Völkern auf das engste miteinander verwoben. Der Kapitalismus befindet sich in einem Niedergang und die herrschenden Klassen der imperialistischen Mächte müssen immer verbissener und verzweifelter jede sich bietende Gelegenheit nützen und nach neuen Möglichkeiten suchen, um mehr Profit aus der Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse weltweit und mehr Extraprofite aus den unterdrückten Völkern in den Halbkolonien herausschlagen zu können. Deswegen unterdrückt das imperialistische Monopolkapital in erster Linie das Weltproletariat, aber zusätzlich unterdrückt es auch ganze Nationen, das bedeutet auch das Kleinbürgertum und teilweise auch die Bourgeoisie in der halbkolonialen Welt.

 

Lenin betonte daher: „Der Imperialismus ist die fortschreitende Unterdrückung der Nationen der Welt durch eine Handvoll Großmächte. (…) Eben deshalb muß die Einteilung der Nationen in unterdrückende und unterdrückte den Zentralpunkt in den sozialdemokratischen Programmen bilden, da diese Einteilung das Wesen des Imperialismus ausmacht und von den Sozialpatrioten, Kautsky inbegriffen, verlogenerweise umgangen wird. Diese Einteilung ist nicht wesentlich vom Standpunkt des bürgerlichen Pazifismus oder der kleinbürgerlichen Utopie der friedlichen Konkurrenz der freien Nationen unter dem Kapitalismus, aber sie ist eben das Wesentlichste vom Standpunkt des revolutionären Kampfes gegen den Imperialismus.“ [20]

 

Und an anderer Stelle schreibt er: „Als Gegengewicht zu dieser spießbürgerlichen opportunistischen Utopie muß das Programm der Sozialdemokratie als das Grundlegende, Wesentliche und Unvermeidliche beim Imperialismus die Einteilung der Nationen in unterdrückte und unterdrückende hervorheben.[21]

 

Gerade diese zentrale Bedeutung der Zweiteilung der Welt in eine kleine Minderheit imperialistischer Staaten und der großen Mehrheit von unterdrückten Völkern verstehen die ZentristInnen von Funke, SLP u.a. nicht bzw. anerkennen sie in Worten, aber ignorieren sie in ihrer konkreten Analyse und den praktischen Schlußfolgerungen.

 

Der Malvinas-Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien im Jahre 1982 ist ein klares Beispiel dafür, wie wenig bislang das CWI/SLP/Funke von der süßen Frucht der marxistischen Imperialismus-Theorie gekostet haben. Daher kommt das CWI heute zu solchen haarsträubenden Feststellungen, den Malvinas-Krieg als „einen kleinen Krieg zwischen zwei niedergehenden zweit- oder drittklassigen Mächten“ zu bezeichnen. [22]

 

Hier werden zwei Länder auf eine Stufe gestellt, von denen die eine – Großbritannien – eine der größten imperialistischen Mächte hinter den USA darstellt, die 77 der weltweit größten 1000 Konzerne stellt [23] eine mit Atomwaffen bestückte Armee besitzt, eine der 5 Mächte im UN-Sicherheitsrat ist usw. Auf der anderen haben wir das halbkoloniale Argentinien, dessen Brutto-Nationaleinkommen pro Kopf mit 5.150 $ gerade 1/8 des britischen beträgt [24], das keinen einzigen Konzern unter den Top 1000 stellt, das weltpolitisch über keinen nennenswerten Einfluß in der kapitalistischen Weltordnung verfügt usw. Das CWI muß also die Wirklichkeit vollständig vergewaltigen, um zwei Länder wie Großbritannien und Argentinien auf eine Stufe zu stellen und seine opportunistische Anpassung an den britischen Imperialismus zu rechtfertigen. Mit dieser lachhaften Methode wird die Imperialismus-Analyse Lenin durch eine kleinbürgerlich-eklektische Karikatur des Marxismus ersetzt. [25]

 

Diese Konfusion in der Imperialismus-Analyse spiegelt sich auch in einem anderen Artikel von Peter Taaffe wider: „Das war das Programm, das wir zur Zeit des Malvina/Falkland-Konflikt befürworteten. Dies war nicht der klassische Konflikt zwischen einer Imperialmacht und einer ‚Kolonie’, in dem die Aufgabe von Marxisten eine ‚kritische’ Unterstützung letzterer war. Argentinien war eine relativ entwickelte kapitalistische Macht. Es war kein feudales oder semi-feudales Regime, in dem die bürgerlich-demokratische Revolution erst vollendet werden musste (abgesehen von der Befreiung Argentiniens von der wirtschaftlichen Fessel des US-Imperialismus und des Weltmarkts, was Aufgabe einer sozialen Revolution ist). Es verhielt sich selbst ‚imperialistisch’ gegenüber anderen Ländern in Lateinamerika – es exportierte Kapital und beutete andere aus – ebenso wie es selbst von den großen Imperialmächten ausgebeutet wurde.[26]

Die Kategorien des Marxismus seit Lenin – Imperialismus, Kolonie, Halbkolonie – werden hier über Bord geworfen und durch schwammige Begriffe, die die opportunistische Politik leichter hinabgleiten lassen, ersetzt: „Imperialmacht“ statt imperialistische Macht, „Kolonie“ nur in Anführungszeichen, „relativ entwickelte kapitalistische Macht“ statt Halbkolonie usw. Dadurch verwundert es auch nicht, daß der Vorwärts/SLP/Funke im Jahre 1991 die absurde Behauptung aufstellen konnte, der Irak wäre ein imperialistisches Land.

 

Dies geht auch eindeutig aus einer weiteren Erklärung des CWI-Verständnisses des Imperialismus hervor. So definiert das CWI in einer 1991 veröffentlichten Broschüre ihrer deutschen Sektion imperialistische Staaten folgendermaßen:

Ob ein Land imperialistisch ist, hängt von seiner Wirtschaftsstruktur und den von ihr bestimmten Interessen der herrschenden Klasse ab. Auch ein unterentwickeltes Land, in dem die wenige vorhandene Industrie stark monopolisiert und mit den Banken verflochten ist, ist imperialistisch. (wenn die Kapitalisten zumindest so stark sind, daß sie herrschen und nicht irgendwelche Großgrundbesitzer). Die Bourgeoisie eines kolonialen Landes wie Indien versucht auch, ihre Profite aus anderen Ländern zu saugen, wenn sie kann. Seine Versuche, Sri Lanka in seine Abhängigkeit zu bringen, haben das gezeigt. Saddam Husseins Annektion von Kuwait war ebenso imperialistisch. Trotzdem sind das nur imperialistische Regionalmächte.[27]

 

Man sieht an diesem Zitat deutlich, daß die CWI-Analyse des Imperialismus nichts mit einem dialektischen Verständnis der Totalität des Weltkapitalismus und dem ihm innewohnenden Gegensatzpaar von imperialistischen und (halb)kolonialen Ländern gemein hat. Stattdessen verkommt der Begriff Imperialismus zu einer Beschreibung für aggressive Politik, zur Beschreibung der Absicht einer halbkolonialen Bourgeoisie mehr Einfluß zu gewinnen oder zur banalen Feststellung, daß im Zeitalter des Imperialismus der Monopolisierungs- und Verschmelzungsprozeß des Kapitals überall – und nicht nur in den entwickelten kapitalistischen Ländern – stattfindet.

 

Kein Wunder also, daß dem CWI/SLP/Funke ohne den Kompaß der Lenin’schen Analyse Ländern wie Argentinien, Irak, Großbritannien und USA als irgendwie ähnlich erscheinen. In der Nacht sind bekanntlich alle Katzen grau.

 

Das „imperialistische“ China und der „Stellvertreterkrieg“ im Tschad

 

Im Kontext dieser unmarxistischen Imperialismus-Analyse wundert es auch nicht, wenn der gegenwärtige Bürgerkrieg im Tschad von vielen ZentristInnen unverstanden bleibt. So z.B. behaupten Funke und SJ-Stamokap nun: „Bei den Konflikten in Darfur und im Tschad handelt es sich um klassische imperialistische Stellvertreterkriege der USA, China und Frankreich um die Rohölvorkommen der Sahara.[28] An anderer Stelle wird dies noch deutlicher: „Hintergrund des Konflikts sind imperialistische Interessen Chinas, das den Sudan in seinen Einflussbereich gebracht hat, welcher wiederum Rebellengruppen im Tschad unterstützt.[29]

 

Zuerst einmal ist die Einschätzung Chinas als imperialistische Großmacht etwas gewagt. Sie ist umso überraschender, als sich der Funke und seine internationale Organisation – die International Marxist Tendency (IMT) – bis vor kurzem nicht einmal zur Erkenntnis durchringen konnte, daß in China in den 1990er Jahren die Planwirtschaft zerschlagen wurde und der Kapitalismus gesiegt hat. [30] Nachdem sich die IMT also viele Jahre nach dem Sieg der kapitalistischen Restauration in China noch weigerte, die Einführung kapitalistischer Produktionsverhältnisse anstatt der stalinistischen Planwirtschaft anzuerkennen, erscheint ihnen plötzlich China als so starke kapitalistische Macht, daß sie von der IMT nun sogar als imperialistisch bezeichnet wird. [31]

 

In Wirklichkeit gibt es in China zwar sehr wohl gewisse Ansätze für eine Entwicklung in Richtung imperialistischer Macht, aber mindestens ebenso ausgeprägt sind die halbkolonialen Charakteristika. [32] Vergessen wir nicht, wie gering der Kapitalexport Chinas ist im Verhältnis zum Kapitalexport imperialistischer Staaten nach China. Ebensowenig darf vergessen werden, daß es nur sehr wenige chinesische Konzerne gibt, die am Weltmarkt in Konkurrenz zu den imperialistischen Konzernen treten können. Insgesamt liegt die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte in China weit hinter den imperialistischen Staaten zurück – so beträgt z.B. das Brutto-Nationaleinkommen pro Kopf bloß 2.010 $. [33]

 

Noch stärker kommt die Funke’sche Verballhornung der marxistischen Imperialismus-Theorie zum flachen Analyse-Ersatz in der kühnen These zum Ausdru