Der Verrat der 'Linken' im Gaza-Krieg 2008/09

Warum ist Neutralität im Kampf zwischen Unterdrückten und Unterdrückern Verrat und warum scheitern die meisten „marxistischen“ Linken an der Solidarität mit dem palästinensischen Volk

Von Michael Pröbsting

 

Vorwort der Redaktion: Im Folgenden veröffentlichen wir ein Essay von Michael Pröbsting über die Positionen der linksreformistischen und zentristische Linken zum Gaza-Krieg 2008/09. Die Arbeit wurde im Frühjahr 2009 im Journal „Unter der Fahne der Revolution“ Nr.4 – dem theoretischen Organ der Liga der Sozialistischen Revolution (LSR) – veröffentlicht. Die LSR war die österreichische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale (LFI). Genosse Pröbsting war seit 1989 führendes Mitglied der LFI und wurde mit einer Gruppe Gleichgesinnter im April 2011 aus der LFI ausgeschlossen, als sie sich der zunehmenden zentristischen Degeneration der LFI widersetzten. Gemeinsam mit Genossinnen und Genossen in Pakistan, Sri Lanka, USA und Österreich bauten sie eine neue internationale Organisation auf – die Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz (RCIT). Genosse Pröbsting ist Internationaler Sekretär der RCIT. Wir veröffentlichen den Artikel in seiner 2009 veröffentlichten Form und haben nur an zwei Stellen den Verweis auf die LFI durch den Verweis auf die RCIT ersetzt.

 

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Freunde erkennt man nicht in guten Zeiten, sondern in der Not. Das palästinensische Volk war in den vergangenen Monaten mehr denn je in Not. Es wurde vom Staat Israel im Gaza in ein Ghetto eingesperrt, ausgehungert und niedergemetzelt. Der Großteil der österreichischen Linken stand in dieser schweren Zeit abseits, blieb neutral oder unterstützte gar den Kriegsverbrecherstaat Israel. Solche Linke sind keine Freunde, sondern Verräter und Feinde.

Die Solidaritätsbewegung gegen den Gaza-Krieg war weltweit und auch in Österreich die wichtigste Massenbewegung gegen Krieg und Besatzung seit den Antikriegsmobilisierungen und den Streiks im Jahre 2003. Am Höhepunkt – dem 9./10. Jänner – gingen 1 ¼ Millionen Menschen auf die Straße, um ihre Unterstützung für das palästinensische Volk zum Ausdruck zu bringen. Diese Bewegung war gerade auch deswegen so bedeutend, da sie auch viele MigrantInnen umfaßte – also eine Schicht, die zu den unterdrücktesten Teilen der ArbeiterInnenklasse und des Kleinbürgertums gehört. Die Haltung zum Gaza-Krieg und der Solidaritätsbewegung in Theorie und Praxis war daher einer der wichtigsten Tests der jüngeren Vergangenheit für jede sich als fortschrittlich verstehende Organisation.

 

LSR: Auf der Seite des palästinensischen Widerstandes

 

Unsere Organisation – die Liga der Sozialistischen Revolution (LSR) – hat bereits zu Beginn des Krieges klar dargelegt, welchen Klassencharakter der Krieg besitzt und auf wessen Seite wir daher stehen:

Die LSR und unsere Schwesterorganisationen in der Liga für die 5. Internationale (LFI) verurteilen den israelischen Überfall auf den Gaza als Terrorkrieg. Der Krieg ist von Seiten Israels ein reaktionärer Angriffskrieg im Dienste der imperialistischen Großmächte und ihres „Krieges gegen den Terror“. Er ist ein gerechter Verteidigungskrieg von Seiten des palästinensischen Widerstandes. Wir treten daher für den Sieg des palästinensischen Widerstandes und für die Niederlage Israels ein.

Die Liga der Sozialistischen Revolution und die LFI treten für den militärischen Sieg aller palästinensischen Kräfte ein, die heute Widerstand gegen die israelische Aggression leisten und verteidigen die Hamas ganz klar gegen die israelische Aggression. (…) Die Unterstützung ihres militärischen Kampfes beinhaltet allerdings keinerlei politische Unterstützung für diese Organisationen. Wir teilen weder die Idee eines islamischen Sharia-Staates noch die einer illusionären bürgerlichen Demokratie, die nur eine Verschleierung für die Diktatur der Kapitalistenklasse ist. Unser Ziel ist der Kommunismus, den wir durch eine internationale Revolution der ArbeiterInnenklasse, der Jugend und der Unterdrückten erreichen werden.[1]

Auf der Grundlage dieser marxistischen, antiimperialistischen Haltung nahmen wir von Anfang an aktiv an der Solidaritätsbewegung teil und waren bei den Protesten in Wien eine der organisierenden Kräfte. [2]

 

Neutralität als Grundhaltung

 

Was viele kleinbürgerliche Linke – von der KPÖ über die Werkstatt Frieden & Solidarität bis zu SLP und Funke vereint – ist die Weigerung, Seite für die Partei der Unterdrückten zu ergreifen – entweder hat man die Verteidigung der PalästinenserInnen vollkommen abgelehnt oder diese nur platonisch-abstrakt (z.B. keine Unterstützung für die Hamas) befürwortet. Unter den verschiedensten Vorwänden und mit den unterschiedlichsten Ausreden beziehen diese Kräfte eine neutrale Position in einem Konflikt zwischen dem Unterdrücker und dem Unterdrückten, zwischen Sklavenhalter und Sklave, zwischen dem Staat Israel und dem palästinensischen Volk. [3]

Offen reformistische Kräfte wie die KPÖ und die Europäische Linkspartei (ELP, die KPÖ ist deren österreichische Sektion) stellen daher die bewaffneten Kräfte des Unterdrückerstaates und der unterdrückten Nation auf ein und dieselbe Stufe. [4]

Die KPÖ erklärt ihre Solidarität mit allen Opfern und mit allen Menschen in Palästina und Israel, die sich für einen gerechten und dauerhaften Frieden einsetzen. Die KPÖ fordert die österreichische Bundesregierung, die UNO und die EU auf, für einen sofortigen Stopp der israelischen Angriffe sowie einen Stopp der Beschießung Israels durch Kassam-Raketen, ein Ende der Blockade von Gaza sowie für die Aufnahme ernsthafter Friedensgespräche einzutreten.[5]

In die gleiche Richtung gingen die ELP-Stellungnahmen vom 29.12. und vom 10.12., die beide Seiten – den Staat Israel und den palästinensischen Widerstand gleichermaßen verurteilten.

Ähnlich auch die Werkstatt Frieden & Solidarität, auch wenn sie im Unterschied zur KPÖ deutlich stärker die barbarischen Attacken der israelischen Armee gegen das Gaza-Ghetto verurteilt. Aber die neutrale, pazifistische, bürgerliche Logik bleibt die gleiche: beide Seiten werden auf eine Stufe gestellt und verurteilt.

Die Werkstatt Frieden & Solidarität fordert daher die israelische Regierung auf, die militärischen Angriffe auf den Gaza-Streifen zu stoppen und wir fordern die politisch Verantwortlichen im Gaza-Streifen auf, die weitere Beschießung Israels durch Kassam-Raketen zu beenden.[6]

Diese Äquidistanz – diese gleichgewichtende Distanzierung von den Taten des israelischen Apartheidstaates und jenen des palästinensischen Widerstandes – deckt sich nicht zufälligerweise mit der Politik den Spitzenpolitikern der imperialistischen EU. So verurteilte der Leiter der EU-Auslandshilfe, der ehemalige belgische Außenminister, Louis Michel, während seines Besuches im Gaza am 26.1. sowohl die „terroristischen Aktionen“ der Hamas als auch den „unverhältnismäßigen Gewalteinsatz“ Israels.

Die Werkstatt versucht die perverse Logik auch noch dadurch zu rechtfertigen, indem sie nahelegt, daß sowohl Israel als auch der palästinensische Widerstand von den imperialistischen Großmächten direkt bzw. indirekt unterstützt werden: „Auch die Großmächte USA und EU haben offensichtlich kein Interesse an einer friedlichen Lösung des Nahost-Konflikts. Sie pumpen die Region mit Waffen voll. Beliefert werden sowohl Israel als auch reaktionäre arabische Regime wie Saudi-Arabien, die die Hamas unterstützen.

Hier paart sich politischer Verrat am palästinensischen Widerstand mit blanker Unwissenheit. Denn würde Saudi-Arabien tatsächlich die Hamas in irgendeiner Art und Weise ernsthaft unterstützen, warum hat es dann in der Arabischen Liga gemeinsam mit Ägypten zu jenen Kräften gehört, die jede Unterstützung für die PalästinenserInnen verhindert hat?!

 

Orientierung auf imperialistische Institutionen

 

KPÖ und Werkstatt lehnen die Unterstützung des bewaffneten Widerstands des palästinensischen Volkes ab, weil sie die herrschende imperialistische Ordnung nicht mittels des Kampfs der Unterdrückten zerschlagen wollen. Stattdessen verbreiten sie die illusionäre Hoffnung, die herrschende imperialistische Ordnung könne mittels der Institutionen derselben imperialistischen Ordnung verbessert werden.

Daher ist die ganze Strategie dieser reformistischen Organisationen nicht auf den Kampf von unten ausgerichtet, sondern vielmehr auf Appelle an imperialistische Institutionen wie die EU und die UNO. So fordert die ELP die UNO in der Sprache einer Kolonialmacht auf, den Unterdrücker und den Unterdrückten zu Verhandlungen zu zwingen: “Die internationale Gemeinschaft wird nicht erlauben, daß sich die israelische Regierung und die Mehrheit der Knesset sowie die palästinensischen Autonomiebehörden und die Hamas vor dem Verhandlungstisch drücken – und die UNO muß der Rahmen für solche Verhandlungen sein…[7]

Die gleiche arrogante Sprache des Imperialismus, die die westlichen Großmächte auffordert, die „uneinsichtigen“ israelischen und palästinensischen Führungen zur „Versöhnung“ zu zwingen, tönt aus dem Mund des langjährigen Vorsitzende der KPÖ, Walter Baier:

Die internationale Gemeinschaft muss dazu beitragen, eine Wende zu erreichen! Der neuerliche Krieg im Gaza, dessen Anlass der anhaltende Raketenbeschuss israelischer Siedlungen ist, demonstriert, dass die lokalen Akteure, die israelische und die palästinensische Führung, aus eigenerer Kraft und mit eigenen Mitteln zu solch einer Politik nicht in der Lage ist.[8]

Während der ELP kein Wort der Unterstützung für den palästinensischen Widerstand über die Lippen kommt, ist ihr Ansprechpartner die imperialistische EU und die UNO: „Wir fordern die europäischen Regierungen auf, alles zu tun, damit die UNO sich sofort einmischt und den Krieg stoppt. … die Europäische Linke fordert von der EU und den EU-Regierungen, daß sie endlich eine aktive Rolle in diese Richtung spielt…[9]

Also die Regierungen, die „internationale Gemeinschaft“ wie sie in der Sprache der Bürgerlichen und des Walter Baiers heißt, die in Wirklichkeit nichts anderes als die Vertreter der herrschenden Klassen des imperialistischen Weltsystem sind, diese Herrscher sollen nun das Feuer löschen, das sie selber ausgelöst haben?! Diese Logik ist komplett naiv und gefährlich, denn sie verbreitet die Illusion, daß die ArbeiterInnenklasse und die unterdrückten Völker nicht auf ihre eigene Kampfkraft vertrauen, sondern auf die Einsicht ihre Unterdrücker hoffen können.

Ähnlich die Werkstatt, die auf ihrer Homepage einen Appell an die österreichische Bundesregierung veröffentlicht hat. Der vollständige (!) Inhalt diesesOffener Brief an Bundeskanzler und Außenminister“ lautet: „Wir fordern die österreichische Bundesregierung auf, sich für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen und eine aktive friedenspolitische Rolle in der EU und im UNO-Sicherheitsrat einzunehmen, um so ernsthaft eine politische Lösung des Konflikts zu erreichen![10]

Wenn man dem Widerstand des unterdrückten Volkes seine Unterstützung verweigert, wenn man vielmehr Hoffnungen in die imperialistischen Großmächte hegt, dann ist es nur ein kleiner Schritt zu der monströsen Forderung des KPÖ-Funktionärs Walter Baier nach Stationierung von imperialistischen Truppen im Gaza:

Der einzige Ausweg, der sich daher abzeichnet, ist die Stationierung einer UNO-Friedenstruppe, die auf der Basis der einschlägigen UN-Resolutionen, die Errichtung eines lebensfähigen palästinensischen Staats wie die Sicherheit Israels garantiert.[11]

 

Exkurs: Stalinismus und der Zionismus in der KPÖ/ELP

 

Der Stalinismus – eine Variante der reformistischen, bürgerlichen Politik, die aus der bürokratischen Herrschaft Stalins in der UdSSR seit den 1920er Jahren erwuchs – zeichnete sich stets durch eine zwiespältige Haltung zum Antisemitismus und Zionismus aus. Bereits Mitte der 1920er Jahre schlug sich die konservative Politik der Stalin-Führung in einer teils offenen, teils versteckten Anpassung an antisemitische Vorurteile nieder. [12] Dieser Antisemitismus ging Hand in Hand mit dem Kampf der Bürokratie gegen das revolutionär-internationalistische Programm der Trotzkisten und dem immer unverhohleneren Patriotismus des Stalinismus. Auch in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren wurden zahlreiche jüdische Intellektuelle und Wissenschaftler unter abstrusen Anschuldigungen angeklagt und verurteilt. (So z.B. im sogenannten Ärzte-Prozeß in der Sowjetunion, bei dem eine Reihe jüdischer Mediziner beschuldigt wurden, die Parteiführung vergiften zu wollen. Ebenso sei hier der Slansky-Prozeß in der Tschechoslowakei im November 1952 erwähnt.) [13]

Diese Instrumentalisierung des Antisemitismus im Kampf gegen oppositionelle Strömungen im Inneren ging Hand in Hand mit einer Anpassung der stalinistischen Bürokratie an den Zionismus im Bereich der Außenpolitik. So stimmte die Sowjetunion nicht nur der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 in der UNO zu, sie belieferte die zionistische Armee sogar massiv mit Waffen, was entscheidend zu deren Sieg über die arabischen Armeen beitrug. [14] Seitdem unterstützte der Stalinismus immer eine Politik, die das Existenzrecht des rassistischen Siedlerstaates Israel anerkannte. Dieser Verrat am nationalen Selbstbestimmungsrecht der PalästinenserInnen trug zu einer schweren Diskreditierung der Kommunistischen Parteien in der arabische Welt bei.

Durch den Zusammenbruch des Stalinismus in der Sowjetunion und Osteuropa 1989-91 erfuhren auch die stalinistischen Parteien im Westen eine Wandlung. Bis dorthin orientierten sie sich auf die Bürokratie im Osten und unterstützten deren Außenpolitik der konfliktreichen Zusammenarbeit mit den imperialistischen Großmächten (der „Politik der friedlichen Koexistenz“ wie es im Jargon des Stalinismus hieß). Seit 1989 nimmt die reformistische, letztlich bürgerliche Politik der stalinistischen Parteien immer offenere, von marxistischen Phrasen befreite, Formen an. Heute unterstützt die ELP offen die Herausbildung einer imperialistischen Großmacht EU und beteiligt sich an Regierungen, die imperialistische Kolonialkriege führen und neoliberalen Sozialabbau betreiben. [15]

Vor diesem Hintergrund der strategischen Orientierung auf den EU-Imperialismus und seine Ideologie erklärt sich auch, warum in der ELP und der KPÖ die pro-israelische, zionistische Haltung immer stärker wird. In der Periode des „Krieges gegen den Terror“, unter dessen Schlagwort die imperialistischen Großmächte und ihre Handlanger seit 2001 einen Kolonialkrieg nach dem anderen im Nahen Osten führen, gewinnt einerseits Israel als zentraler Verbündeter in der Region massiv an Bedeutung. Andererseits steht vor diesem Hintergrund die Frage des Islams als der Mehrheitsreligion im Nahen Osten – und auch eines wichtigen Teils der großen MigrantInnen-Gemeinde in Europa – im Zentrum der Auseinandersetzung. Daraus ergibt sich geradezu automatisch die zentrale Bedeutung der Palästina-Frage und des nationalen Befreiungskampfes des palästinensischen Volkes gegen den Staat Israel.

Nur so läßt sich erklären, daß immer mehr führende Funktionäre der ELP öffentlich ihre Zustimmung zum Apartheidstaat Israel und ihre Feindschaft gegenüber der antiimperialistischen Linken bekunden. Beispielhaft dafür ist die pro-israelische Rede von deutschen Ex-Stalinisten und Linkspartei-Vordenkers Gregor Gysi vom April 2008. In dieser definiert er die Grundhaltung seiner Partei als „Solidarität mit Israel“ und stellt diese – akademisch verklausuliert – in einen Zusammenhang mit der Bejahung des imperialistischen Staates Deutschland durch die Linkspartei: „die Solidarität mit Israel (ist) ein moralisch gut begründbares Element deutscher Staatsräson.[16]

Im gleichen Zusammenhang sind die politischen Äußerungen des führenden KPÖ-Funktionärs (und Vorsitzenden des ELP-Denkfabrik „transform“) Walter Baiers zu sehen. Schon nach dem Libanon-Krieg 2006 verleumdete er LSR-AktivistInnen und andere linke AntiimperialistInnen als „AntisemitInnen“ und widmete dieser Denunziation sogar einen ganzen Artikel, der dann auch im Zentralorgan der österreichischen Bourgeoisie – der Zeitung „Die Presse“ – abgedruckt wurde. [17] Bald darauf wurde er ein prominenter Unterstützer der aggressiv-zionistischen Kampagne gegen den Iran „Stop the Bomb“, bei deren Veranstaltung Anfang Mai 2008 der israelische Publizist Benny Morris sogar der Einsatz von Atombomben gegen den Iran forderte.

So ist es nur konsequent, daß während des aktuellen Gaza-Krieges der Vorsitzende der Linkspartei in Berlin, Klaus Lederer, gemeinsam mit VertreterInnen der Jüdischen Gemeinde, von FDP, CDU, SPD und Grünen auf einer Demonstration „Support Israel - Operation Cast-Lead“ (Unterstützt Israel - Operation gegossenes Blei) als einer der Hauptredner auftrat. [18] Ebensowenig verwundert es, daß wenige Tage nach Kriegsbeginn von der KPÖ eine (intellektuell nicht sehr gehaltvolle) Polemik gegen die LSR veröffentlicht wurde. [19]

Trotz unterschiedlicher Anschauungen zum Gaza-Krieg innerhalb der ELP und der Linkspartei ist diese offene Unterstützung für den rassistischen Apartheidstaat Israel jedoch kein extremer Ausreißer einiger durchgeknallter ELP-Funktionäre, sondern vielmehr bloß die logische Schlußfolgerung einer grundsätzlichen Bejahung der imperialistischen Weltordnung und seiner Institutionen (UNO, EU usw.). Wer das kapitalistische Weltsystem und seine Institutionen akzeptiert anstatt ihnen den Krieg zu erklären, für den ist es nur ein kleiner Schritt auch jene Staaten und deren Kriege zu bejahen, die zur „internationalen Gemeinschaft“ jener herrschenden Großmächte gehören, die an der Spitze eben dieses Weltsystems stehen.

Israel und sein Kriege repräsentieren in Reinkultur die imperialistische Zivilisation, deren herrschende Klasse mit brachialer Gewalt ihre Vorherrschaft und ihre Privilegien gegen die arabische „Barbaren“ durchsetzt. Vergessen wir nicht, daß dieser Gedanke den Zionismus von Anfang an prägte. In seinem 1896 veröffentlichten Buch „Der Judenstaat“ beschreibt der Gründer der zionistischen Bewegung, Theodor Herzl, prophetisch die Funktion des Staates Israel für den Imperialismus: „Für Europa würden wir dort ein Stück des Schutzwalles gegen Asien bilden, wir werden der Vorposten der Zivilisation gegen die Barbarei.

Bei vielen führenden ELP-Funktionären steckt hinter der Israel-Freundschaft ein klares Kalkül, dadurch von der herrschenden Kapitalistenklasse leichter als Regierungspartner akzeptiert zu werden. Eine Reihe einfacher ELP-Mitglieder glaubt sicherlich ehrlich an eine Kombination von Sympathie für Israel, Menschenrechte und pazifistischen Illusionen in die UNO. Doch es gilt das eherne Gesetz: Wer nicht den Imperialismus konsequent bekämpft, der endet – bewußt oder unbewußt – als sein Handlanger.

 

Keine Hoffnung in die UNO!

 

Die Forderungen von sogenannten Linken an die Großmächte bzw. sogar nach deren militärischen Eingreifen in der halbkolonialen Welt wirft die grundlegende Frage auf, wie sich fortschrittlich gesinnte Organisationen zu den Großmächten und ihren Institutionen verhalten sollen.

Die Orientierung vieler Linker auf die UNO ist politisch verheerend. Denn sie verkennt vollkommen den Charakter der UNO. Sie ist kein Weltrat der Völker. In Wirklichkeit ist die UNO eine Bande von Räubern und ihren Helfershelfern.

Gehen wir in folgendem kurz auf das Wesen der UNO ein. Die UNO-BotschafterInnen vertreten nicht die breite Masse der Bevölkerung ihres Landes, sondern deren Regierung. Diese Regierungen wiederum schweben nicht im luftleeren Raum, sondern vertreten konkrete Interessen. Nämlich jene des Systems, das ihr Land beherrscht – des Kapitalismus. Genaugenommen sitzen in der UNO also die VertreterInnen der jeweiligen herrschenden Klassen.

In der UNO-Generalsversammlung mögen alle Staaten gleich mit je einer Stimme vertreten sein. Aber diese Gleichheit ist rein formal. In Wirklichkeit gilt – wie überall im Kapitalismus – das Prinzip: „Wer zahlt, schafft an“. Die mächtigsten und reichsten Staaten – die imperialistischen Großmächte – bestimmen, wo es lang geht. Die USA sind mit 22% aller Beitragszahlungen der größte Beitragszahler. Gemeinsam mit anderen imperialistischen Staaten - Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien bestreiten sie 62,3% der gesamten Zahlungen der UNO.

Ein UNO-Diplomat sprach vor dem Irak-Krieg 2003 offen aus, was jeder und jede weiß: die USA – und die anderen Großmächte – haben viele Staaten in der Tasche, da sie diese mittels Anbieten bzw. Zurückziehen von Krediten, Subventionen u.ä. bestechen können. „Die USA werden in der Region einige sehr große Schecks ausstellen.“

Auf diese Weise verhindern die imperialistischen Mächte, daß die UNO jemals ernsthafte Maßnahmen gegen sie oder gegen einen ihrer Verbündeten ergreift. Daher verpuffen alle Resolutionen wirkungslos, die gegen Israel gefaßt werden.

Schon bei der Gründung des Staates Israel zeigte sich diese Übermacht der imperialistischen Großmächte in der UNO. Selbst innerhalb der UNO mußte eingestanden werden, daß die auf dem Landraub beruhende Gründung des Staates Israel der eigenen Charta widerspricht. Die Studie einer Unterkommission der UNO - das „Subcomittee 2 of the ‚UN Special Committee on Palestine’“ – vom 11. November 1947 stellte fest, daß die Mehrheitsentscheidung der UNO, Palästina zu teilen und den Staat Israel zu schaffen, im Widerspruch zur UN-Charta steht. Artikel 1 der Charta geht davon aus, daß das „Prinzip gleicher Rechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker“ respektiert werden müsse. Der gleiche Paragraph verlangt, daß „Rücksicht auf die politischen Aspirationen der Völker zu nehmen“ sei. Die Studie kommt zur Schlußfolgerung, daß eine Teilung Palästinas – noch dazu, wo eine (jüdische) Minderheit die Mehrheit des Landes zugesprochen bekommt – dieser Charta widerspreche und völkerrechtswidrig sei. Viele Staaten – v.a. aus der sogenannten Dritten Welt lehnten die Gründung Israels daher ab. Doch das alles half nichts. Wie auch heute setzten die Großmächte massive politische und finanzielle Druckmittel ein, um die Zustimmung armer Länder zu erzwingen und hatten letztlich dabei Erfolg. [20]

Schließlich ist in der UNO selbst die formale Gleichheit im höchsten Maße eingeschränkt. Nur die Resolutionen des kleinen UNO-Sicherheitsrates sind für alle Staaten bindend, nicht jedoch die des Generalrates, in dem alle Mitgliedsstaaten vertreten sind! Innerhalb des UNO-Sicherheitsrates mit seinen 15 Staaten besitzen bekanntlich die fünf ständigen Mitglieder (USA, Großbritannien, Frankreich, Rußland und China) ein Veto-Recht. Kurz und gut: während die Resolutionen des Generalrates ohne Folgen bleiben, kann jeder einzelne aus der kleinen Gruppe der Großmächte mit einem Veto alles blockieren (wie z.B. die USA zugunsten Israels).

Letztlich dient die UNO nur den Interessen der imperialistischen Großmächte. Entweder die UNO fügt sich den Wünschen ihrer Finanziers und verurteilt einen widerspenstigen Staat wie z.B. den Irak. Dann werden die UNO-Beschlüsse natürlich Länge mal Breite durchgesetzt, da diese ja den Interessen der Imperialisten dienen. Siehe z.B. das UNO-Embargo gegen den Irak, dem eineinhalb Millionen IrakerInnen zum Opfer fielen und der Golfkrieg 1991 oder auch der Korea-Krieg 1950-53, wo die USA formell im Auftrag der UNO Krieg gegen Nordkorea führte.

Oder die UNO beschließt Protestnoten und Sanktionen, die befreundete Staaten der Imperialisten betreffen. In diesem Fall wird niemand diese Sanktionen durchsetzen, da die Großmächte ihren Freunden nichts antun wollen. Ein gutes Beispiel dafür sind die UNO-Verurteilungen gegen Israel. Israel hat bereits 69 UNO-Sicherheitsresolutionen gebrochen und wurde von 29 weiteren Verurteilungen nur durch ein Veto der USA gerettet. Doch dies hat keinerlei Konsequenzen, denn Israel ist im Unterschied zu anderen Staaten wie dem Irak früher, Nordkorea oder Iran heute, ein Verbündeter der USA. Im übrigen: als Saddam Hussein in den 1980er Jahren in Washington noch als Freund und Verbündeter galt, blieben auch die Verurteilungen der UNO gegen den Irak (wegen des blutigen Krieges gegen den Iran) ohne Konsequenzen.

Forderungen an die UNO sind daher für die Antikriegsbewegung vollkommen nutzlos. Mehr noch: Sie sind nicht nur nutzlos, sondern auch politisch gefährlich, da sie Illusionen in eine Institution der herrschenden Klassen schüren. Anstatt auf die eigene Kraft, auf den Widerstand gegen den Krieg mit den Methoden des Massenkampfes (Streiks, Sabotage, direkte Aktionen etc.) zu setzen, delegiert der Reformismus die Lösung des Krieges an eine Institution der herrschenden Klasse.

Deswegen lehnen wir aus diesen prinzipiellen Erwägungen jegliche Einmischung der UNO ab. (Stationierung von UNO-Truppen, UNO-Embargo, UNO-Waffeninspektoren u.ä.). Die Antikriegsbewegung muß eine Politik zurückweisen, die sich auf die UNO orientiert und Forderungen an sie richtet. Wer die Räuber mit Hilfe des Räuber-Dachverbandes bekämpfen will, ist entweder ein politischer Schwachkopf oder ein rettungsloser Naivling. Beides ist im Kampf gegen Imperialismus und Krieg gefährlich.

Ebenso darf die Bewegung keinerlei Forderungen an die imperialistischen Konkurrenten der USA – wie die EU – richten, diese doch vom Krieg abzuhalten oder deren Besatzungspolitik zu ändern. Imperialistische Besatzungstruppen im Gaza auf Geheiß der UNO sind um nichts besser als imperialistische Besatzungstruppen auf Geheiß eines einzelnen Staates.

Um die Besatzung zu beenden, kann man nicht auf imperialistische Regierungen hoffen, sondern nur auf die unterdrückten Klassen und Völker selber setzen. Deswegen richten wir unsere Forderungen an die Unterdrückten selber – die ArbeiterInnenklasse, die Gewerkschaften, die Antikriegsbewegung.

 

Es ist der Kapitalismus, was sonst?!

 

Die jahrzehntelange Politik der UNO im Interesse der Großmächte, die permanenten Kriege und Interventionen, die wachsende Armut, die Weltwirtschaftskrise – all dies hat eine gemeinsame Ursache. Und diese gemeinsame Ursache ist das System, in dem wir leben: der Kapitalismus. Das System des Kapitalismus besteht aus der Gesamtheit sozialer Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse einer in gegensätzliche – herrschende und beherrschte – Klassen gespaltene Gesellschaftsformation (Marx). Die Basis dieser Gesellschaftsformation ist das Privateigentum an Produktionsmitteln (Betriebe, Grund und Boden), welche der besitzenden Kapitalistenklasse die unentgeltliche Aneignung eines Mehrwertes aus dem von der Arbeiterklasse geschaffenen gesellschaftlichen Wertprodukt erlaubt. Auf der Grundlage dieser ökonomischen Produktionsbedingungen erhebt sich ein politischer und ideologischer Überbau (Staat, Kultur etc.).

Mit der Entwicklung des Kapitalismus haben sich unausweichlich auch seine Widersprüche weiterentwickelt. Heute ist der Kapitalismus zu einem Monopolkapitalismus – wir nennen dieses System auch Imperialismus – geworden. Einige wenige Monopole und Großmächte beherrschen die Welt.

Mitte der 1990er Jahre kontrollierten 300 multinationale Konzerne 70% aller Auslandsinvestitionen sowie des Welthandels und ein Viertel des weltweiten Kapitalstocks. Seitdem hat das Ausmaß an Kapitalkonzentration in wenigen Händen noch mehr zugenommen. Alleine die größten 100 multinationalen Konzerne haben einen Gesamtumsatz von fast 9,15% des globalen Nationaleinkommens. [21] Diese weltbeherrschenden Konzerne befinden sich fast ausschließlich in den reichen, imperialistischen Metropolen. Von den international größten 1000 Konzernen kommen 895 aus den USA, der EU oder Japan und die anderen kommen fast alle aus weiteren reichen kapitalistischen Staaten in Europa und Nordamerika. [22]

Daher sind es auch diese imperialistischen Großmächte, die die Weltpolitik beherrschen. Eine kleine Gruppe von Staaten in Westeuropa und Nordamerika zusammen mit Japan und Rußland sind imperialistische Staaten, d.h. sie nehmen am Weltmarkt bzw. in der Weltpolitik eine dominierende, beherrschende Stellung ein. Die meisten anderen Staaten sind zwar formal unabhängig, tatsächlich aber vom Imperialismus abhängig. Deswegen nennen wir sie halb-koloniale Staaten. Diese halb-kolonialen Staaten können sich in der UNO daher nicht allzu sehr mit den USA, der EU und Japan anlegen, wollen sie nicht Sanktionen, Schwierigkeiten bei der Kreditvergabe etc. provozieren.

In diesem monopolkapitalistischen, imperialistischen System, in dem die wirtschaftliche und politische Macht in den Händen einiger weniger Konzerne und Großmächte konzentriert ist, muß es unausweichlich zur Unterdrückung zahlreicher Völker und Nationen kommen. Eine tatsächliche Beseitigung nationaler Unterdrückung ist daher nur möglich, wenn sie Hand in Hand geht mit der Beseitigung seiner Grundlage – dem Kapitalismus.

Aus diesen Gründen ist die Politik der KPÖ und der linken SozialdemokratInnen, die Appelle an die UNO, die EU richten und mit Hilfe dieser großen Räuber die Folgen des Räuber-Systems bekämpfen wollen, hoffnungslos utopisch und reaktionär.

 

„Marxistisch“ getarnte Neutralität

 

Gruppen wie die SLP oder der Funke, die sich als revolutionär-marxistisch bezeichnen, haben durch ihre Haltung während des Krieges gezeigt, daß ihr „Marxismus light“ versucht, ohne Marx, Lenin und Antiimperialismus auszukommen. Hinter ihrem anti-revolutionären „Marxismus“ verbirgt sich eine tiefgreifende Anpassung an den Imperialismus, die ihren geistigen Ahnherren in der deutschen und österreichischen Sozialdemokratie im frühen 20. Jahrhundert alle Ehre macht.

Natürlich findet man in den Erklärungen der SLP und des Funke wortreiche Verurteilungen des Imperialismus, der barbarischen Kriegspolitik des Staates Israel usw. Manchmal schleicht sich sogar ein kurzes Bekenntnis zum „Recht der PalästinenserInnen auf bewaffnete Verteidigung“ oder „für die Schaffung demokratischer Selbstverteidigungskomitees auf Massenbasis gegen die israelischen Angriffe auf Gaza“ (SLP) ein und daß der Krieg seitens der PalästinenserInnen ein „gerechter Krieg“ (Funke) ist. [23]

Aber all dies sind bloß zynische, vollkommen abstrakte Worthülsen, denn sie schweigen sich über den konkreten, bewaffneten Widerstand des palästinensischen Volkes aus, der heute stattfindet und zwar unter der Führung von Hamas, Islamischen Jihad, Volkswiderstandskomitees, Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden, PFLP u.a.. Wie ist es damit? Sind SLP und Funke bereit, diesen konkreten Widerstand – nicht bloß abstrakte Luftblasen zukünftiger „Selbstverteidigungskomitees auf Massenbasis“ – zu unterstützen?! Natürlich nicht, denn das hieße ja den Antiimperialismus von den Niederungen der zentristischen Phraseologie auf die Höhen der konkreten, revolutionären Praxis zu heben und dies würde einen kompletten Bruch mit der bisherigen, jahrzehntelangen Politik des Schein-Antiimperialismus dieser Gruppen bedeuten.

Daher propagieren SLP und Funke zwar auf der Ebene allgemeiner Prinzipien linkere Formeln als die ELP und andere Reformisten. In den konkreten praktischen Schlußfolgerungen, in ihrer Weigerung zur Parteinahme auf Seiten der Unterdrückten, gelangen sie jedoch zu den gleichen Konsequenzen wie der Reformismus.

Denn die Politik der herrschenden kapitalistischen Klasse in Israel führt weder zu Wohlstand noch zu Sicherheit für die jüdisch-israelische Bevölkerung, sondern zu Armut, Arbeitslosigkeit und einer Vertiefung des nationalen Konflikts. Genauso ist die Politik der palästinensischen Eliten von Fatah/PLO und der Hamas eine Sackgasse für die verarmten und unterdrückten Massen Palästinas. Diese verteidigen nur ihre eigenen Interessen. Die reaktionär-islamische Politik der Hamas, insbesondere die Raketenangriffe auf israelische Wohngebiete – welche von SAV und CWI abgelehnt werden – sind keine erfolgversprechende Politik des Widerstands, sondern nur dazu geeignet die israelischen Massen in die Arme ihrer kriegführenden und pro-kapitalistischen Regierung zu treiben.[24]

Auch wenn wir natürlich die Kritik am Charakter der kleinbürgerlichen PLO/Fatah- und Hamas-Führung teilen, hält uns dies nicht davon ab, sie als objektiv fortschrittlicher zu bewerten als die israelische Bourgeoisie. Im Gegensatz zu Israel sind sie, trotz all ihrer politischen Fehler, Ausdruck einer antiimperialistischen Befreiungsbewegung und müssen somit, bei gleichzeitiger Kritik an ihrem Programm, in diesem Kampf unterstützt werden.

Daher ist es auch absurd, so wie der Funke die Kriegsverbrechen Israels und den Widerstand der Hamas mit demselben Wort – „Terrorismus“ – zu verurteilen:

- Das sofortige Ende aller Aggressionshandlungen gegen die Menschen im Gazastreifen! Abzug der israelischen Bodentruppen! Nein zum Staatsterror und zum individuellen Terror!

- Ein Ende der Blockade, damit die Menschen mit Lebensmitteln, Brennstoff und Medikamenten versorgt werden und sich frei bewegen können!

- Schluss mit den terroristischen Angriffen gegen die Zivilbevölkerung in Israel; die Führung des palästinensischen Widerstands muss die Massen bewaffnen und regionale Verteidigungskomitees in jeder Stadt und jedem Dorf organisieren![25]

Wir sehen: die Gewänder mögen verschieden sein, aber in der Verurteilung des „Terrorismus“ sowohl des Unterdrückerstaates als auch des unterdrückten palästinensischen Volkes sind sich EU-Michel, KPÖ, SLP und Funke einig.

Um ihre Verweigerung der Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand zu rechtfertigen, versuchen SLP und Funke den Kampf der Hamas klein zu reden. Am gleichen Tag, als Israel einen Waffenstillstand verkünden mußte, veröffentlichte der Funke den Artikel ihres Führungskaders Alan Woods, indem dieser – nicht zum ersten Mal – seine Fehlprognosen zum Besten gab:

Der Krieg wird fortgesetzt und wird fortgesetzt werden, bis die Herrschenden in Israel befinden, dass sie alle oder die meisten ihrer Ziele erreicht haben.

Was wird das Endergebnis dieses Kriegs sein? In militärischer Hinsicht wird die Hamas massiv verloren haben. Viele ihrer Kader werden getötet oder gefangen worden sein. Ihre militärische Infrastruktur wird zertrümmert sein. Hinsichtlich äußerer Vermögenswerte wird Gaza völlig ruiniert zurückbleiben. Der wirtschaftliche Schaden wird erst in vielen Jahren behoben sein. In diesem Sinn werden die Israelis haben, was sie wollten. Ernstzunehmender werden für Israel die langfristigen politischen Auswirkungen sein. Obwohl sie einen schweren Schlag erhalten haben wird, wird die Hamas nicht zerstört sein.

In Wirklichkeit natürlich hat Israel keine einziges seiner politischen oder militärischen Kriegsziele erreicht. Das wollen aber Woods & Co nicht eingestehen, denn dann ließe es sich schwerer rechtfertigen, warum dem von Hamas geführten Widerstand die Unterstützung verweigern.

Anstatt also Partei für den konkreten Widerstandskampf der PalästinenserInnen zu ergreifen, fordert die SLP viel mehr die Antikriegsbewegung dazu auf, nur ja NICHT den Widerstandskampf zu unterstützen! In ihrer Zeitung schreibt die SLP mit fetten Buchstaben: „Keine Unterstützung der Hamas durch die Antikriegsbewegung![26] Sicherlich, die Politik der Hamas können SozialistInnen niemals unterstützen. Ihren praktischen, heldenhaften Widerstandskampf, der – neben der internationalen Solidaritätsbewegung – der entscheidende Faktor dafür war, daß Israel eine Niederlage im Gaza erlitt, müssen jedoch alle aufrichtigen SozialistInnen bedingungslos unterstützen! [27]

Der antiimperialistische Internationalismus darf sich nicht nur auf eine Ablehnung des Imperialismus beschränken, sondern muß sich auch in der Unterstützung jener Kräfte der unterdrückten Völker, die konkret gegen die Herrschaft der Großmächte bzw. deren Handlanger kämpfen, ausdrücken. Tut man dies nicht, endet man unweigerlich bei der Politik des Zentrismus, dessen pseudo-revolutionäres Wortgeprassel eine opportunistische Anpassung an die imperialistische Weltordnung zu verdecken versucht.

Der marxistische Revolutionär Trotzki formulierte die Unfähigkeit des Zentrismus, diese Konsequenz zu ziehen, folgendermaßen:

Nichtsdestotrotz überschreitet Ledebours Position auch in dieser Frage nicht die Grenzen des Zentrismus. Ledebour fordert den Kampf gegen koloniale Unterdrückung, er wird im Parlament gegen Kolonialkredite stimmen, er wird die kühne Verteidigung der Opfer eines Kolonialaufstandes auf sich nehmen. Aber Ledebour wird nie teilnehmen an der Vorbereitung eines Kolonialaufstandes. Solch eine Arbeit hält er für Putschismus, Abenteurertum, Bolschewismus. Und hier liegt der Kern der Sache.

Was den Bolschewismus in der nationalen Frage kennzeichnet, ist, daß er die unterdrückten Nationen, selbst die rückständigsten, nicht nur als Objekte, sondern auch als Subjekte der Politik betrachtet. Der Bolschewismus begnügt sich nicht mit der Anerkennung des ‚Rechtes‘ auf Selbstbestimmung und mit parlamentarischen Protesten gegen die Mißachtung dieses Rechtes. Der Bolschewismus dringt tief in die unterdrückten Nationen ein, erhebt sie gegen die Unterdrücker, verbindet ihren Kampf mit dem Kampf des Proletariats der kapitalistischen Länder, unterweist die unterdrückten Chinesen, Inder und Araber in der Kunst des Aufstandes und nimmt die volle Verantwortung für diese Arbeit vor dem Angesicht der zivilisierten Henkersknechte auf sich. Hier erst beginnt der wahre Bolschewismus, d.h. der revolutionäre Marxismus der Tat. Was vor dieser Grenze stehenbleibt, bleibt alles Zentrismus.[28]

Man braucht nur das Wort „Ledebour“ durch SLP/CWI oder Funke/IMT ersetzen und man erhält eine treffende, aktuelle Verurteilung der Politik dieser Gruppen.

 

Anpassung an die imperialistische Weltordnung

 

Diese Neutralität im Krieg zwischen dem Staat Israel und dem palästinensischen Widerstand ist in keinster Weise zufällig, sondern liegt in der systematischen politischen Anpassung der zentristischen Gruppen an die im Zeitalter des Imperialismus groß gewordenen reformistische Bürokratie. Diese Anpassung schlägt sich auch in der Theorie und Programmatik dieser Organisationen nieder. Die SLP ist hier keineswegs das einzige, aber sicherlich ein herausstechendes Beispiel für eine solche Anpassung an den Imperialismus.

Die SLP und ihre internationale Strömung – das CWI – haben in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt nationalen Befreiungskämpfen die Unterstützung verweigert und in Kriegen imperialistischer Großmächte gegen halbkoloniale Staaten eine neutrale Position eingenommen. Dies war z.B. im jahrzehntelangen Bürgerkrieg zwischen dem republikanischen Widerstand und der britischen Besatzungsmacht in Nordirland der Fall, im britischen Eroberungskrieg gegen Argentinien um die Malvinas-Inseln 1982, im imperialistischen Angriffskrieg in Afghanistan seit 2001 oder beim israelischen Überfall auf den Libanon 2006. Immer und überall verweigert das CWI den Kräften des unterdrückten Volkes seine Unterstützung und bezieht eine neutrale Position. [29]

Diese Anpassung geht sogar soweit, daß die SLP nicht für die Zerschlagung des rassistischen Siedlerstaates Israel und einen gemeinsamen palästinensisch-jüdischen ArbeiterInnenstaat eintritt, sondern vielmehr die Ergebnisse des Kolonialismus akzeptiert und ein „sozialistisches Israel neben einem sozialistischen Palästina“ fordert. Diese Losung ist nichts anderes als eine Akzeptierung der Vertreibung und des Völkermordes an den PalästinenserInnen durch den rassistischen Siedlerstaat Israel. Ein solcher sozialistischer Zionismus steht mit dem Marxismus genauso auf Kriegsfuß, wie die Führung des ÖGB mit den ursprünglichen Idealen der ArbeiterInnenbewegung. [30]

 

Zum Wesen des Zentrismus

 

Was sind die Ursachen dieser wiederholten Kapitulationen vor der Bourgeoisie und der politischen Anpassung an die imperialistische Weltordnung? Ein Teil der Antwort ist der Theorie der diversen zentristischen Gruppen zu suchen, die ihnen eine klare Analyse des Imperialismus und der Bedingungen des Kampfes gegen diesen verunmöglicht. Aber dies wirft wiederum die Frage nach den Ursachen ihrer falschen Theorie auf. Mangelnde Kenntnisse der Schriften der marxistischen Klassiker? Sicherlich nicht, zumindest wenn man die internationale Führungsspitze von Strömungen wie dem CWI oder der IMT hernimmt.

Nein, die Ursache ist – wie bei allen politischen Phänomenen – in seinem Wesen, in seinem politischen Klassencharakter zu suchen. Der Zentrismus erscheint als marxistische Strömung, denn er läßt den Marxismus in zahlreichen Worten hochleben. Doch Marx selber wies darauf hin, daß alle Wissenschaft überflüssig (wäre), wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen“. [31]

Tatsächlich ist der Zentrismus keine proletarische, sondern eine kleinbürgerliche, schwankende Kraft. Der Zentrismus transportiert kein proletarisch-sozialistisches, sondern ein verwirrendes, letztlich bürgerliches Bewußtsein in die Reihen der ArbeiterInnenbewegung. Treffend charakterisierten die Bolschewiki den Zentrismus folgendermaßen: „Eine bürgerliche Entstellung des Sozialismus ist andererseits die Strömung des ‚Zentrums‘, die ebenfalls in allen kapitalistischen Ländern zu beobachten ist und zwischen Sozialchauvinisten und Kommunisten schwankt (...)“ [32]

Durch seine Unfähigkeit, einen unabhängigen proletarischen Standpunkt einzunehmen, ist der Zentrismus unausweichlich gezwungen – bei allen Zick-Zacks – sich an Teile der Gewerkschaftsbürokratie bzw. der sozialdemokratischen Bürokratie anzupassen und, statt ihre Politik konsequent zu bekämpfen, deren Denkweise und Vorurteile anzunehmen. Daraus ergibt sich – und wir haben darauf in der Vergangenheit wiederholt hingewiesen –, daß große Teile der Linken sich an den Imperialismus und den damit verbundenen sozialchauvinistische Vorurteile anpassen. Diese organische Anpassung an den Chauvinismus zeigte sich nicht nur in der Gaza-Kampagne, sondern – um nur besonders aktuelle Beispiele zu nehmen – auch in der Tatsache, daß eine Organisation wie das CWI im Februar 2009 in Britannien eine führende Rolle in einem chauvinistischen Streik spielte, der sich gegen die Einstellung von ausländischen ArbeiterInnen richtete und unter dem Motto „British Jobs for British Workers“ stand. Ebenso sei an die heftige Ablehnung der LSR-Forderung nach mehrsprachigen Schulen zur Integration der MigrantInnen während des LINKE-Wahlkampfes durch SLP & Co mit dem Argument, daß würden die österreichischen ArbeiterInnen „nicht verstehen“, erinnert.

Die gesamte politische Methode dieser Linken zeichnet sich durch eine magnetische Anpassung an den Imperialismus und den Sozialchauvinismus aus. Statt konsequenter Unterstützung und Förderung des Kampfes der unterdrückten Schichten betreibt der linke Reformismus und der Zentrismus Kapitulation vor der Bürokratie in der ArbeiterInnenbewegung und den Vorurteilen der privilegiertesten Schicht des Proletariats – der Arbeiteraristokratie. Der Zentrismus ist nicht gleichzusetzen mit dem Reformismus. Daher auch die Schwankungen und die zeitweilig marxistischen Ansätze in seinen Analyse und Losungen. Aber diese Ansätze werden umgehend zunichte gemacht durch die Furcht des Zentrismus, sich „zu isolieren“ und als „sektiererisch“ zu erscheinen. Darunter versteht der Zentrismus jedoch nicht die Isolation von der ArbeiterInnenklasse, sondern von Teilen der reformistischen Bürokratie. Daher unternimmt der Funke alles, um die SJ-Bürokratie zu besänftigen und nicht ausgeschlossen zu werden. Daher die stetige Weichheit der SLP gegenüber den linkeren GewerkschaftsbürokratInnen.

 

Der Imperialismus teilt die Welt in herrschende und beherrschte Nationen

 

Der Marxismus geht davon aus, daß in der imperialistischen Epoche sich die Klassengegensätze zwischen Bourgeoisie und Proletariat in einem solchen Ausmaße entwickeln, daß es weltweit zu einer Spaltung der Staaten und Völker in eine kleine Minderheit herrschender, imperialistischer Staaten und dem großen Rest der Welt, den unterdrückten Nationen kommt. Diese beherrschten Länder – zumeist halbkoloniale Staaten, z.T. aber auch von fremden Nationen direkt besetzte Kolonien – werden vom imperialistischen Kapital direkt oder indirekt ausgebeutet und unterdrückt. Denn der sich im Niedergang befindende Kapitalismus zwingt die herrschenden Klassen der imperialistischen Mächte, immer verbissener und verzweifelter jede sich bietende Gelegenheit nützen und nach neuen Möglichkeiten suchen, um mehr Profit aus der Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse weltweit und mehr Extraprofite aus den unterdrückten Völkern in den Halbkolonien herausschlagen zu können.

Um sich ein Bild von dem Ausmaß der imperialistischen Plünderung der halbkolonialen Welt zu machen, verweisen wir auf folgende Tatsachen: Alleine in den letzten 15 Jahren ist es zu einem enormen Anstieg des Netto-Transfer von finanziellen Ressourcen aus den halbkolonialen Staaten – den sogenannten Entwicklungsländer und ehemalige stalinistische Staaten in die imperialistischen Metropolen gekommen (siehe Tabelle 1).

 

Tabelle 1: Netto-Transfer von finanziellen Ressourcen in Entwicklungsländer und ehemalige stalinistische Staaten 1995-2007 (in Milliarden US-Dollar) [33]

 

 

1995

1997

1999

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

Afrika

5.9

–4.7

4.2

–16.8

–6.7

–21

–35

–63.4

–95.3

-59.2

Ost- und

Südasien

21.8

–31.9

–137.6

–115.6

–146

–170.7

–162.1

–230.5

–244.7

-468.1

West-Asien

20.1

12.6

7.7

–23.8

–18.4

–43.3

–69.8

–125.9

–194.7

-132.7

Lateinamerika

–1.7

23.4

9.8

4.3

–31.6

–60.6

–80

–105.2

–123.1

-99.8

Entwicklungs-länder

insgesamt

46.2

–0.6

–115.9

–151.9

–202.7

–295.6

–346.8

–525

–657.7

-759.8

Ehemalige stalinistische

Staaten

–2.7

2.8

–23.7

–29.1

–26.1

–33.7

–54.6

–86.8

–125.1

-109.2

Entwicklungs-länder und ehemalige stalinistische Staaten

insgesamt

43.5

2.2

-139.6

-181.0

-228.8

-329.3

-410.4

-611.8

-782.8

-859.0

 

Zusammengerechnet ergibt dies alleine für den Zeitraum 1995-2007 einen Netto-Abfluß von 3.736,7 Milliarden US-Dollar, die von den halb-kolonialen Ländern in Richtung imperialistische Zentren flossen! Um sich ein Bild vom Ausmaß dieser finanziellen Aussaugung durch das imperialistische Finanzkapital zu machen, wollen wir folgende Berechnung vornehmen: Im Jahr 2007 betrug das kombinierte Brutto-Inlandsprodukts dieser Regionen 14.150 Milliarden US-Dollar. [34] Der Abfluß von 859 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr entsprach daher knapp 6.1% des Brutto-Inlandsprodukts der halb-kolonialen Welt. Wohlgemerkt, bei dieser Zahl handelt es sich nicht um die Profite des imperialistischen Kapitals – von denen ja ein Gutteil im Land selber entweder konsumiert wird oder in die Kapitalakkumulation zwecks neuer Profitgewinnung fließt – sondern ausschließlich um jenen Teil, der direkt aus der halb-kolonialen Welt geplündert wird.

Der Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat und der Klassengegensatz zwischen den imperialistischen Mächten und den unterdrückten Völkern ist daher auf das engste miteinander verwoben. Deswegen unterdrückt das imperialistische Monopolkapital in erster Linie das Weltproletariat, aber zusätzlich unterdrückt es auch ganze Nationen, das bedeutet auch das Kleinbürgertum und teilweise auch die Bourgeoisie in der halbkolonialen Welt.

Daher ist die Spaltung der Nationen in herrschende und unterdrückte weder eine nebensächliche Angelegenheit noch eine separate, vom Klassenkampf für die sozialistische Revolution getrennte Frage. Vielmehr gehen MarxistInnen davon aus, daß der Kapitalismus nur durch eine Strategie bekämpft werden kann, die auch jede Form nationaler Unterdrückung angreift.

Lenin betonte daher: „Der Imperialismus ist die fortschreitende Unterdrückung der Nationen der Welt durch eine Handvoll Großmächte. (…) Eben deshalb muß die Einteilung der Nationen in unterdrückende und unterdrückte den Zentralpunkt in den sozialdemokratischen Programmen bilden, da diese Einteilung das Wesen des Imperialismus ausmacht und von den Sozialpatrioten, Kautsky inbegriffen, verlogenerweise umgangen wird. Diese Einteilung ist nicht wesentlich vom Standpunkt des bürgerlichen Pazifismus oder der kleinbürgerlichen Utopie der friedlichen Konkurrenz der freien Nationen unter dem Kapitalismus, aber sie ist eben das Wesentlichste vom Standpunkt des revolutionären Kampfes gegen den Imperialismus.“ [35]

 

Marxismus ist Antiimperialismus oder er ist kein Marxismus!

 

Für den wirklichen, also den revolutionären, Marxismus sind die Befreiungskämpfe unterdrückter Völker daher integraler Bestandteil des Klassenkampfes. Dieses Verständnis begann bereits bei Karl Marx und Friedrich Engels, als diese unmißverständlich feststellten: „Eine Nation kann nicht frei werden und zugleich fortfahren, andre Nationen zu unterdrücken.“ [36]

Die Kommunistische Internationale unter Lenin und Trotzki entwickelte diese Herangehensweise unter den Bedingungen der imperialistischen Epoche weiter und faßte sie 1920 in der Losung – „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker, vereinigt Euch!“ – zusammen. [37]

Wirklich sozialistische Kräfte müssen jede nationale Befreiungsbewegung unterstützen, die Widerstand gegen die imperialistischen Großmächte oder deren Handlanger leistet. Diese Solidarität darf nicht abhängig davon sein, ob die Führung dieser Befreiungsbewegungen unsere sozialistischen Ideale teilt. Oft tut sie das nicht und RevolutionärInnen kämpfen daher in solchen Bewegungen für eine andere, sozialistische, Ausrichtung und auch eine solche Führung. Aber wir verweigern dem gerechten Widerstand nicht die Unterstützung, nur weil dieser nicht unter unserer, sozialistischen, Fahne geführt wird. Dies wäre reaktionär und sektiererisch. [38]

Für eine solche Haltung, wie es Gruppen wie CWI/SLP oder IMT/Funke auszeichnet, hatte die Kommunistische Internationale in der Zeit von Lenin und Trotzki nur scharfe Verurteilung über:

„Die Weigerung der Kommunisten der Kolonien, am Kampf gegen die imperialistische Vergewaltigung teilzunehmen, unter Vorgabe angeblicher ‚Verteidigung’ selbständiger Klasseninteressen, ist Opportunismus schlimmster Sorte, der die proletarische Revolution im Osten nur diskreditieren kann.“ [39]

Die Argumentation, dass MarxistInnen keine von bürgerlichen nationalistischen Kräften geführten Befreiungsbewegungen unterstützen könnten, ist dabei eine vollkommene Verkennung der Notwendigkeiten des proletarischen Kampfes in diesen Ländern. Man tut so, als wäre die Frage der nationalen Befreiung einzig eine Frage, die zu lösen im Interesse der halbkolonialen Bourgeoisie liegt. In Wirklichkeit besteht jedoch ein wichtiger Zusammenhang zwischen nationaler Befreiung und proletarischer Revolution: Ohne Trennung der Fesseln des Imperialismus wird eine revolutionär-sozialistische Umwandlung der Gesellschaft nicht vonstatten gehen können. Der Kampf gegen Imperialismus ist somit ein objektives Grundinteresse auch der proletarischen Kräfte im Nahen Osten. Die Verbindung zwischen Antiimperialismus und proletarischer Revolution macht die unabhängige Organisierung von Kräften der ArbeiterInnenbewegung natürlich zur wichtigen Voraussetzung für die Weitertreibung der nationalen Befreiung hin zur sozialistischen Revolution. Die Verweigerung der Unterstützung nationaler Befreiungsbewegungen (auch mit bürgerlicher Führung) bedeutet praktisch nichts anderes als die bürgerliche Führung zu stärken, anstatt den politischen Kampf mit ihnen aufzunehmen. Eine neutrale Position bedeutet somit Festigung der reaktionären Führung des antiimperialistischen Widerstands einerseits und indirekte Unterstützung des Imperialismus andererseits.

Leo Trotzki, der neben Lenin wichtigste Führer der Oktoberrevolution und spätere Begründer der IV. Internationale, unterstrich diesen Grundsatz des revolutionären Antiimperialismus:

"Der Kampf gegen Krieg und seinen sozialen Ursprung, den Kapitalismus, setzt direkte, aktive und unzweideutige Unterstützung für die unterdrückten kolonialen Völker in ihren Kämpfen und Kriegen gegen den Imperialismus voraus. Eine 'neutrale' Position ist gleichbedeutend mit einer Unterstützung des Imperialismus." [40]

Diese Herangehensweise gilt auch für uns heute in der LSR. Ein Marxismus ist nur dann wirklicher Marxismus, wenn er die Prinzipien des Antiimperialismus beinhaltet. Ansonsten ist er bloßer Schein-Marxismus, „Marxismus“, der als Deckmantel für Verrat dient.

 

Schlußfolgerungen

 

Die permanente Aggression des Staates Israel und die fortgesetzte Offensive des US-Imperialismus sind heute eine der Hauptfragen der Weltpolitik und somit auch der Politik von internationalistisch denkenden MarxistInnen. In der Haltung zu diesen brennenden Fragen zeigt sich, wer auf welcher Seite der Barrikade steht und wer eine fortschrittliche Rolle in der ArbeiterInnen- und Jugendbewegung spielt. Große Teile der Linken waren unfähig und unwillig, während des Kriegs eine internationalistische, antiimperialistische Haltung einzunehmen. Sie lehnen eine konsequente Ablehnung des Zionismus ab und solidarisieren sich nicht mit dem Kampf der Unterdrückten.

Der Gaza-Krieg hat mehr denn zuvor aufgezeigt, daß der Großteil der sogenannten linken Organisationen nichts weiter als kleinbürgerliche Maulhelden sind, deren Politik die grundlegendsten Prinzipien des Antiimperialismus fehlen.

Krieg und Widerstand in Palästina, Afghanistan und Irak unterstreichen, daß sich die Widersprüche der imperialistischen Weltordnung massiv zuspitzen. Die herrschende Klasse greift immer offener zu Krieg, Terror und Unterdrückung, um ihren Drang nach Extra-Profiten und weltweiter Vorherrschaft mit Gewalt durchzusetzen. Die Menschheit steht vor der Alternative: Sozialismus oder Barbarei. Wir leben in einer Periode, in der Revolution und Konterrevolution mehr und mehr auf der Tagesordnung stehen. Es ist unsere Aufgabe, den Kampf gegen die Herrschaft der Kapitalistenklasse zu organisieren und bis zum Aufstand und zur Machteroberung durch die ArbeiterInnenklasse zu führen. Vor dieser Herausforderung stehen die sozialistischen RevolutionärInnen nicht nur weltweit, sondern auch Österreich. Und diese Frage ist von höchster Dringlichkeit, denn nur durch eine sozialistische Weltrevolution können wir ein Absinken der Menschheit in eine endlose Abfolge von Krisen und Kriege verhindern.

Eine zentrale Schlußfolgerung der vergangenen Wochen besteht darin, daß der ArbeiterInnenklasse eine schlagkräftige Führung mit einem klaren Programm und einer entschlossenen Praxis fehlt, die diese Aufgabe auch erfüllen kann. An der Spitze der österreichischen ArbeiterInnenbewegung steht eine Sozialdemokratie, die neoliberalen Sozialabbau betreibt und die pro-israelische EU-Politik vollinhaltlich mitträgt. Die kleine Opposition links von der SPÖ wird von Kräften dominiert, die im Krieg zwischen Unterdrücker und Unterdrückten eine neutrale, gleichgültige Position beziehen und keinen Finger für Mobilisierungen gegen den Krieg rühren. Die Führungen der moslemischen Vereine wiederum mobilisierten nur zögerlich gegen den Krieg und bieten keine politische Perspektive. Nur ganz wenige antiimperialistische Organisationen – darunter die LSR und die Jugendorganisation REVOLUTION – mobilisierten gegen Israels Krieg.

Kurz, es mangelt mehr denn je an einer revolutionären Führung. Doch ohne den rechtzeitigen Aufbau einer organisierten revolutionären Kraft werden wir nicht in der Lage sein, den künftigen Bewegungen gegen Kriege und kapitalistische Krise eine Perspektive zu weisen. Ohne den rechtzeitigen Aufbau einer organisierten revolutionären Kraft wird es nicht möglich sein, das krisenhafte System des Kapitalismus zu beseitigen, seinen mächtigen kapitalistischen Staatsapparat zu stürzen und die Revolution zum Sieg zu führen. Wir bauen die Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz (RCIT). auf, um diese Führungskrise zu lösen, um eine revolutionäre Partei als Teil der künftigen 5. Internationale aufzubauen.

 

KASTEN SJ: Keine Haltung ist auch eine Haltung

 

Eigentlich könnte man die SJ in der Frage des Gaza-Krieges schweigend übergehen. Denn die SPÖ-Jugendorganisation hat zum Krieg konsequent geschwiegen und sage und schreibe keine einzige Stellungnahme und keinen Artikel während des 22-Tage dauernden Krieges veröffentlicht. Nicht, daß die Führung um Moitzi, Breiteneder auf den Mund gefallen oder ihnen der Computer abhanden gekommen wäre. Auf der Homepage der SJ, der SJ Wien usw. findet man aus dieser Zeit eine Reihe neuer Artikel über den Antisemitismus, über das aktuelle „FemSem“ usw. Bloß für solche „Lappalien“ wie dem Gaza-Krieg fand man offenkundig keine Zeit. Aber im politischen Leben, in einer Gesellschaft des stetigen Kampfes zwischen Klassen und Staaten, gibt es kein Wegschauen, kein Kopf-in-den-Sand-stecken. Aus der Geschichte wissen wir, daß Schweigen bereits eine indirekte Stellungnahme ist und seine Gründe hat.

So lag das Schweigen vieler bürgerlicher und sozialdemokratischer Kräfte zur Ausrottung der trotzkistischen Opposition in der UdSSR in den späten 1930er Jahren durch die Stalin-Diktatur in deren politischer Zusammenarbeit und der Angst vor der Revolution begründet. Wegen der politischen Zusammenarbeit mit den westlichen imperialistischen Großmächten Grund schwiegen die Sozialdemokraten und Stalinisten zu den antikolonialen Aufständen der unterdrückten Völker in Indien (1942) und Algerien (1945). Und wegen der Hoffnung, einen Ausgleich mit den Nazis zu finden, schwiegen viele westeuropäische bürgerliche Kräfte zur Ermordung der Kommunisten in den Konzentrationslagern in den 1930er Jahren.

Die Gründe für die Haltung der SJ heute liegen in ihrer engen politischen Verbindung zum imperialistischen Staatsapparat Österreichs und somit der EU und der damit zusammenhängenden politischen Unterstützung für den Zionismus und den Staat Israel. Die Funktionärsschicht in der SJ ist in vielfältiger Weise von der SPÖ und dem Staat abhängig. Man denke nur an die knappe halbe Million Euro, die sie jährlich an Staatssubventionen bekommt, die zahlreichen von der Parteibürokratie zur Verfügung gestellten Lokale, die Karrieremöglichkeiten usw. Diese materielle Abhängigkeit vom bürgerlichen Staat und der SPÖ als einer mit dem Staatsapparat eng verbundene bürgerliche ArbeiterInnenpartei findet ihren politischen und programmatischen Niederschlag in der grundsätzlichen Bejahung der imperialistischen Demokratie (Orientierung auf die UNO, Veränderung der Gesellschaft durch Regierungsbeteiligung und das bürgerliche Parlament und ohne Revolution etc.). Daher lehnt die SJ die Unterstützung für nationale Befreiungsbewegungen ab, die Widerstand gegen die imperialistischen Großmächte und ihre Handlanger leisten.

Eine besondere Abscheu hegt die SJ-Führung gegen den palästinensischen Befreiungskampf. Bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit bejaht sie das Existenzrecht des rassistischen Apartheidstaates Israel. Kräfte wie die LSR oder die AIK, die den Zionismus ablehnen und für einen gemeinsamen palästinensisch-jüdischen Staat eintreten, werden dagegen verleumdet und eines sogenannten „sekundären Antisemitismus“ beschuldigt. Mit diesem haarsträubenden „Argument“ verweigert die SJ-Führung seit Jahren sogar die Teilnahme an Aktionseinheiten, an denen sich die AIK beteiligt.

Angesichts dieses pro-zionistischen politischen Klimas ist es daher kein Zufall, daß Kräfte in der Sozialdemokratie während des Krieges offen für den israelischen Völkermordkrieg eintraten. So sprach z.B. der Wiener Landtagsabgeordnete und langjährige SPÖ-Vertreter in Sozialforum, Peter Florianschütz, auf der pro-israelischen Kundgebung in Wien am 12.1. Deren Aufruf endete mit den zynischen Losungen. „Gegen den Terror der Hamas! Für das Recht Israels auf Selbstverteidigung! Solidarität mit Israel!“ Angesichts der grundlegenden Unterstützung der SJ für den zionistischen Staat Israel nimmt es nicht Wunder, daß die SJ-Spitze keinen Kampf für den Ausschluß solcher Kriegstreiber aus den Reihen der Sozialdemokratie führt.

 

Kasten: Die internationalistische Boykott-Kampagne gegen Israel

 

Antiimperialistische Kräfte – darunter auch die LSR und unsere internationale Organisation LFI – unterstützen seit Jahren eine Boykott-Kampagne gegen den rassistischen Apartheidstaat Israel. [41] In den letzten Monaten haben viele Kräfte diese Forderung aufgegriffen. Mittlerweile unterstützen zahlreiche Kräfte einen Boykott Israels: darunter Gewerkschaften in Norwegen, Italien, Südafrikas usw., diverse Studentenorganisationen in Westeuropa und Nordamerika, Organisationen wie die „Jüdische Stimmen für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“, zahlreiche jüdisch-israelische Akademiker usw. [42] Auch das Weltsozialforum erklärte bei seinem jüngsten Treffen im Jänner 2009 in Belem seine Unterstützung für die Boykott-Kampagne gegen Israel.

Es ist jedoch auffallend, daß eine solche Boykottkampagne hierzulande nur von wenigen linken Organisationen (neben uns v.a. von der AIK) aufgegriffen wird. Im Gegenteil, verschiedene reformistische, antinational beeinflußten Kräfte haben einen Boykott des Staates Israel als antisemitisch verurteilt und – so z.B. der damalige KPÖ-Funktionär Franz Schäfer – mit der Nazi-Kampagne „Kauft nicht bei Juden“ verglichen.

Dieser Vergleich ist typisch für die sogenannten Antinationalen und pro-zionistischen Freunde Israels, die jegliche Ablehnung dieses Apartheidstaates als Antisemitismus verleumden. Eine angebliche Parallele zwischen der Boykott-Kampagne gegen Israel und der Nazi-Hetze „Kauft nicht bei Juden“ ist eine willkürlich Erfindung – entsprungen aus der Werkstatt der politischen Giftmischer im Lager der antinationalen und pro-zionistischen Freunde des Staates Israel.

Die Juden in Deutschland der 1930er Jahre waren eine durch den Faschismus unterdrückte, verfolgte und schließlich vernichtete Minderheit. Die Nazi-Kampagne „Kauft nicht bei Juden“ richtete sich gegen ALLE Juden, WEIL sie Juden waren. Sie diente den Nazis, um von der verheerenden soziale Krise des Kapitalismus in Deutschland und weltweit abzulenken und einen hilflosen Sündenbock zu finden.

Die weltweite Boykott-Kampagne gegen Israel ist etwas völlig anderes: Sie richtet sich gegen den STAAT ISRAEL, der fälschlicher- und anmaßenderweise von sich behauptet, das weltweite Judentum zu repräsentieren. Sie ist in keinster Weise ein Versuch Juden und Jüdinnen zu schaden und schon gar nicht Ausdruck einer antisemitischen Haltung. Daher wird sie auch von zahlreichen fortschrittlichen jüdischen AktivistInnen und Intellektuellen unterstützt.

Die Boykottkampagne hat sich auch immer wieder gegen wichtige (nicht-jüdische) Freunde und Helfershelfer des Staates Israel gerichtet (z.B. Caterpillar oder Starbucks).

Die israelische Bourgeoisie stärkt und bereichert sich fortwährend mittels des kapitalistischen Staates Israel. Die jüdisch-israelischen ArbeiterInnen dagegen leben durch die Kriegsstrategie „ihrer“ herrschenden Klasse im permanenten Ausnahmezustand und haben zusätzlich noch mit tagtäglicher kapitalistischer Ausbeutung zu kämpfen. Somit ist der israelische Staat ein Unterdrücker- und Kriegsinstrument, das im Interesse der imperialistischen Großmächte - allen voran den USA - zur Aufrechterhaltung ihrer Ordnung im Nahen Osten Kriege führt, die arabischen Staaten bedroht und die PalästinenserInnen unterdrückt.

Jede/r ernsthafte Antikriegsaktivist und -aktivistin muß sich gegen diesen israelischen Angriffskrieg stellen. Wer hier im Westen verhindern will, daß Israel wieder einen Krieg beginnt oder weiterhin die palästinensische Bevölkerung in diesem riesigen Freiluftgefängnis namens Gaza-Streifen tyrannisiert, muß alles daran setzen, diesen Apartheidstaat politisch und ökonomisch zu schwächen. Venezuela hat einen ersten Schritt gesetzt und die diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen. Ausgezeichnet! Warum soll Israel besser behandelt werden als der rassistische Apartheidstaat Südafrika in den 1980er Jahren?!

Unsere Herangehensweise in der Boykott-Kampagne steht in der alten Tradition der internationalistischen Solidaritäts- und ArbeiterInnenbewegung, die zwischen dem Staat und der herrschenden Klasse auf der einen Seite und der einfachen Bevölkerung auf der anderen Seite unterscheidet. Nach 1933 lancierten die antifaschistische ArbeiterInnenbewegung und jüdische Organisationen eine Boykottkampagne gegen Hitler-Deutschland. In der Zeit des italienischen Überfalls auf Abessinien 1935 gab es ebenso eine Boykottkampagne gegen Italien. Und in den 1980er Jahren existierte eine weltweite Boykott-Bewegung gegen den Apartheidstaat Südafrika. All diese Kampagnen waren nicht gegen die einfache Bevölkerung gerichtet, sondern gegen den Staat und die herrschende Klasse.

Die erfundene Parallele zwischen der Boykott-Kampagne gegen Israel und der Nazi-Hetze „Kauft nicht bei Juden“ ist nichts anderes als ein Versuch, die internationalen Proteste gegen den Kriegs- und Unterdrückerstaat Israel zu verleumden.

 

 



[1] Siehe „Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand! Die Position der Liga der Sozialistischen Revolution zum israelischen Terrorkrieg gegen das palästinensische Volk - Fragen und Antworten“, Stellungnahme des Politischen Büros der LSR, 1.1.2009; veröffentlicht in BEFREIUNG Nr. 172 sowie im Internet www.sozialistische-revolution.org